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Der Islamische Staat fasst Fuss in Russland

Der Islamische Staat fasst Fuss in Russland

Einst ermunterte Russland Jihadisten zur Ausreise, um Terroranschläge auf die Olympischen Spiele in Sotschi zu verhindern. Doch diese Strategie könnte sich nun rächen.
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Ein Bergdorf in Dagestan, das neben Tschetschenien das wichtigste Rekrutierungsgebiet des IS in Russland ist. (Bild: Sergei Grits / AP)

Nur virtuell ist die Bedrohungslage nicht. Erst kürzlich nahm der Inlandgeheimdienst FSB in der Oblast Wolgograd fünf Extremisten fest, die im Verdacht stehen, für den IS rekrutiert und Attentate geplant zu haben. Zuvor beanspruchte der IS die Urheberschaft für zwei Anschläge in der Teilrepublik Dagestan für sich. Klar ist, dass sich der jihadistische Untergrund Russlands im Umbruch befindet. Immer mehr Gruppierungen schwören dem IS die Treue. Dies könnte zu einer dramatischen Strategieänderung der Terroristen führen.

Vorkämpfer aus Tschetschenien

Den russischen Sicherheitskräften ist es mit ihrem kompromisslosen Kurs gelungen, den Extremisten im Nordkaukasus als Epizentrum des russischen Jihadismus empfindliche Verluste zuzufügen. Die Anzahl extremistischer Gewalttaten ist rückläufig, der Blutzoll sinkt. Fielen 2014 dem bewaffneten Konflikt in der muslimisch geprägten Region mit 2,9 Millionen Einwohnern insgesamt 341 Personen zum Opfer, waren es 2015 laut unabhängigen Berechnungen noch 209. Föderalen Kräften gelang es zudem immer wieder, Führungsleute wie auch viele einfache Kämpfer des Kaukasus-Emirats auszuschalten sowie dessen Kommunikationsmittel und Finanzierungswege nachhaltig zu schädigen.

Die Terrorgruppe des 2013 getöteten tschetschenischen Rebellenführers Doku Umarow hatte einen Führungsanspruch über die islamistischen Kämpfer im Nordkaukasus erhoben. In den vergangenen Jahren büsste sie aber zusehends an Autorität ein und zerfiel, nicht nur wegen der Erfolge der Sicherheitskräfte, sondern auch wegen Streitigkeiten über Strategie und Ideologie. Als schliesslich 2015 der Tschetschene Aslan Bujutukajew, einer der stärksten Kommandanten, dem IS-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi die Gefolgschaft schwor, hielten viele das Kaukasus-Emirat für entmachtet. Baghdadi akzeptierte das Treuegelöbnis und verkündete die Gründung einer Provinz des Islamischen Staates im Nordkaukasus mit dem Dagestaner Rustam Aselderow (Nom de Guerre: Abu Mohammed al-Kadari) als Emir.

Die Schwächung des Untergrunds ist aber trügerisch. Diverse einflussreiche und charismatische russische Jihadisten haben ihren Kampf in den Nahen Osten verlegt, wo sie freier als im Nordkaukasus agieren können und geradezu umworben werden: «Insbesondere die Tschetschenen haben den Ruf, furchtlose, erfahrene und loyale Kämpfer zu sein», erklärt Jekaterina Sokirjanskaja, eine russische Nordkaukasus-Expertin, im Gespräch. Der Name «Shishani» – «der Tschetschene» – sei zu einer eigentlichen Marke geworden. Einige Tschetschenen nähmen hohe Positionen in der Kommandostruktur von Terrororganisationen ein, sagt Sokirjanskaja. Sie ist Mitautorin eines neuen Berichts der International Crisis Group über russische Jihadisten in Syrien.

Als ranghöchster russischer Gotteskrieger im IS galt bisher Tarchan Batiraschwili alias Umar al-Shishani, ein ethnischer Tschetschene aus Georgien. Im Nahen Osten seit 2012, soll er in Syrien sowie im Irak verschiedene Milizen befehligt und später auch dem Militärrat des IS vorgestanden haben. Laut amerikanischen Meldungen erlag er im März den Verletzungen durch einen Luftangriff im Nordosten Syriens, doch bestätigt ist dies nicht. Unter den russischen Jihadisten gibt es zwar auch ethnische Russen, aber die meisten sind wie Shishani Kaukasier, wobei Tschetschenen und Dagestaner in der Mehrheit sind.

«Den Jihad exportiert»

Ein nicht unerheblicher Teil stammt laut der International Crisis Group aus isolierten nordkaukasischen Diasporagemeinden in der Türkei, wo der IS systematisch russische Staatsangehörige rekrutieren soll. Diese, vor allem jüngeren Alters, verfügen zwar im Vergleich zu ihren Landsleuten im Nordkaukasus oftmals über wenig bis keine Kampferfahrung. Durch ihr Leben im Exil scheinen viele von ihnen aber leichter zu instrumentalisieren sein.

Die russischen Jihadisten kämpfen nicht nur für den IS in Syrien und im Irak, sondern auch für den Kaida-Ableger Jabhat al-Nusra sowie in eigenen Rebellengruppen, meist unter tschetschenischer Führung. Wie viele russische Staatsbürger in der Region kämpfen, ist unklar. Der FSB und das Innenministerium gehen von 2900 Personen aus, andere Quellen von bis zu 5000.

Unbestritten ist, dass die Anzahl russischer Kämpfer im Nahen Osten steigt. Die Behörden versuchen zwar, Jihadisten an der Ausreise zu hindern. Doch dies war laut Sokirjanskaja nicht immer so. «Vor den Olympischen Spielen in Sotschi 2014 hat Russland die Grenzen für Radikale, die nach Syrien wollten, einfach geöffnet.» Niemand habe sie an einer Ausreise gehindert. Die Behörden hätten die Islamisten im Gegenteil gar dazu ermuntert, sagt Sokirjanskaja. Laut der Crisis Group kann von einer «kontrollierten Abwanderung» gesprochen werden.

Dies wird von mehreren Behördenvertretern unter Wahrung ihrer Anonymität wie auch von Recherchen der «Nowaja Gaseta» bestätigt. Ob es sich aber tatsächlich um eine eigentliche Strategie handelte, ist strittig. Fest steht, dass zu jener Zeit Projekte mit Fokus auf Dialog, Aufklärung, Prävention und Resozialisierung, die durchaus erste Erfolge zeigten, zugunsten repressiver Methoden eingestellt wurden. Hintergrund war wohl nicht zuletzt Umarows Aufruf an «alle Mujahedin in der Region» zu Gewaltakten gegen die Winterspiele. Laut Sokirjanskaja ging es darum, den Kaukasus kurzfristig und effektiv von allen potenziellen Bedrohungen zu säubern. Tatsächlich blieb Sotschi von Anschlägen verschont. Insgesamt wurde ein Rückgang der Gewalt erreicht.

Laut Sokirjanskaja wurde so das Problem aber nur exportiert. Sie spricht davon, dass sich der nordkaukasische Untergrund quasi mit dem globalen Jihadismus vereinigt habe. «Nun kämpfen im IS russische Staatsbürger, die ihren nicht beendeten Krieg mit Russland weiterführen. Sie werden dafür sorgen, dass Russland eine Zielscheibe bleibt», sagt die Expertin. Der IS droht Russland immer wieder offen mit Anschlägen und stellt blutrünstige Videos in Netz. Im Oktober bekannte sich die Terrororganisation zum Anschlag auf ein russisches Passagierflugzeug über dem Sinai, der 224 Personen das Leben kostete. In Russland beanspruchte der IS in den vergangenen sechs Monaten die Urheberschaft für fünf Anschläge für sich.

Moskau hat zwar mittlerweile das Risiko erkannt und die Prioritäten verändert. Unter anderem wurden die Freiheitsstrafen für Beteiligung an bewaffneten Formationen im Ausland auf bis zu zehn Jahre erhöht sowie die Überwachung mutmasslicher Extremisten und deren Umfeld verschärft. Alleine in Dagestan sind laut offiziellen Angaben 15 000 Personen «präventiv registriert». Darunter sind laut Menschenrechtsgruppen aber auch unbescholtene Bürger, die unter einen Generalverdacht fallen, dadurch keine Stelle mehr finden oder in ihrer Reisefreiheit eingeschränkt werden.

Schikane gegen Salafisten

Dazu kommt, dass auch Anhänger ultrakonservativer Strömungen, etwa des Salafismus, oft unterschiedslos zum gewaltbereiten Extremismus gezählt werden. Geistliche werden festgenommen und Moscheen geschlossen. Zusammen mit der verbreiteten Perspektivenlosigkeit und Rechtlosigkeit trägt dies weiter zur Radikalisierung vor allem der jungen Generation im Armenhaus von Russland bei. Laut Sokirjanskaja handelt es sich um einen idealen Nährboden für Indoktrination: «Das Virus lebt in unserem Land. Ständig und effizient wird es von der Propaganda des IS geschürt.»

Der IS verfügt mittlerweile über eine Reihe von Websites, Apps sowie Video- und Radioprogrammen in russischer Sprache. Für die Propaganda soll Islam Atabijew (Abu Jihad) verantwortlich sein. Der Karatschaier aus Stawropol gilt als äusserst ambitioniert und hochintelligent. Einige Beobachter halten ihn für den eigentlichen Kopf der russischen Fraktion beim IS, nicht seinen bekannteren Kampfgenossen Shishani.

Viele der jungen russischen Jihadisten sind laut Sokirjanskaja desillusioniert, vom Verlangen nach Rache an Russland getrieben. Grund dafür seien einerseits die prekären Zustände in ihrer Heimat, andererseits empfänden sie die Behandlung von Muslimen in aller Welt als ungerecht. Dieses Gefühl wird mit Russlands militärischem Eingreifen in Syrien durch den IS propagandistisch weiter angestachelt. Dass Russland mit seinen Luftangriffen 2000 russische Extremisten ausgeschaltet habe, wie Verteidigungsminister Sergei Schoigu behauptete, hält die Expertin für eine Übertreibung, der keine glaubhafte Datenbasis zugrunde liege. «Für Russland besteht kein Anlass zur Entwarnung», sagt Sokirjanskaja. Im Gegenteil, es sei nur eine Frage der Zeit, bis die russischen Jihadisten Wege für eine Rückkehr gefunden hätten, um ihren Kampf wieder voll gegen Russland zu richten.

Ein Teil des Untergrunds scheint darauf bereits zu reagieren. Seit dem Beginn der russischen Militäroperation Ende September in Syrien gibt es Appelle, nicht mehr in den Nahen Osten zu gehen, sondern den Jihad in Russland auszutragen. Bis jetzt ist dem IS in Russland zwar kein grosser Anschlag gelungen. Im Urteil vieler Beobachter festigen sich aber die Strukturen, zumindest im Nordkaukasus müsse mit einer spürbaren Zunahme der terroristischen Aktivitäten gerechnet werden. Nicht ausgeschlossen wird, dass es dabei unter dem Einfluss des IS auch zu einer Änderung der Taktik und einer eigentlichen Enthemmung der russischen Extremisten kommen könnte. Befürchtet wird, dass nicht mehr nur hauptsächlich staatliche Sicherheitsorgane, sondern auch wieder verstärkt weiche Ziele, sprich Zivilisten, ins Visier der Terroristen geraten könnten. Der grösste Propagandaerfolg des IS wäre dabei zweifelsfrei, ausserhalb des Kaukasus, in einer Metropole des europäischen Russlands, erfolgreich zuzuschlagen.

Forrás: http://www.nzz.ch

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