Eine in die Jahre gekommene Koalition ist wie ein überreifer Camembert: Sie stinkt. Da man sie aus verschiedenen Gründen allerdings bis zum Ende der Legislaturperiode erhalten will, fliehen viele ihrer Mitglieder ins Reich der Fantasie und träumen von Alternativen, die ihnen angesichts der beißenden Küchenluft wie Leckereien erscheinen.
Wem will, wem kann man es verübeln, wer unter diesen Umständen einen Seitensprung begeht? Eines allerdings muss vorher klar sein: Er darf nur im Stillen erfolgen, nur einen Augenblick währen und die Grenze der Zartheit und des Zögerns nicht überschreiten.
Die SPD schreibt alle diese Regeln in den Wind. Im Heißhunger nach der Alternative scheint sie ihrer politischen Begierde kaum noch Herr zu werden. Anstelle des geheimen Spiels aus Zurückhaltung und Drängen setzen nicht wenige Teile der Partei auf demonstrative Zudringlichkeit.
Die Tradition der Schaukelpolitik
Noch ein Jahr fest im Regierungsbündnis mit der Union, sprechen viele Sozialdemokraten nicht nur laut über eine rot-rot-grüne Partnerschaft, sondern geben auch noch rechtzeitig bekannt, in welchem Berliner Restaurant sie sich mit den Grünen und der Linkspartei treffen, um zu beraten, wie eine Partnerschaft aussähe. SPD-Chef Sigmar Gabriel hat die Tafelrunde allein durch seine Anwesenheit legitimiert. (Lesen Sie hier den Bericht von Daniel Friedrich Sturm.)
Takt sieht anders aus. Er mag keine Tugend der Parteipolitik sein. Trotzdem bleibt das Gebaren anstößig. Im Frust über die als miese Ehe empfundene Partnerschaft scheint die Sehnsucht vieler Sozialdemokraten mittlerweile so groß zu sein, dass sie selbst die Grundsätze für lässlich halten, die zur Staatsräson der Bundesrepublik gehören: die Mitgliedschaft Deutschlands in der Nato und letztlich auch die in der Europäischen Union.
Seitdem Herbert Wehner im Juni 1960 für seine Partei auf Westkurs ging, stand die SPD hinter dem westlichen Bündnisgefüge. Für kaum einen ihrer führenden Köpfe war es seither denkbar, Bündnisse mit Parteien zu schließen, die diese Grundsätze infrage stellen.
Heute ist dies nicht mehr der Fall. Außenpolitisch sei man zwar unterschiedlicher Ansicht, hört man, doch diese Gegensätze seien nicht entscheidend. Bereitwillig begibt sich die SPD damit in die Tradition der Schaukelpolitik, die verheerend für Deutschland wäre. Große Koalitionen mögen für die Entwicklung eines Landes schädlich sein, weil sie den Wählern Alternativen rauben. Doch wenn – um sie zu vermeiden – Bündnisse geschlossen werden, in denen das Land seine Prinzipien aufgibt, dann ist der Preis dafür zu hoch.
https://www.welt.de/debatte/kommentare/article158869984/Der-Heisshunger-der-SPD-nach-neuer-Macht-Option.html