Pegida ist auch für Wissenschaftler ein Phänomen. Jetzt liegt eine erste umfassende Analyse der fremdenfeindlichen Bewegung vor. Mit dem Ergebnis: Viele Teilnehmer hören bei den Reden gar nicht zu.
Ressentiments gegenüber Muslimen, Asylbewerbern, Ausländern sowie Hass- und Hetzreden, die sich gegen die politischen und medialen Eliten der Bundesrepublik richten” – das eint die Pegida-Bewegung laut einer Analyse von Politikwissenschaftlern um den Dresdner Professor Hans Vorländer.
Allerdings gebe sie in Deutschland kein einheitliches Bild ab, sagte er am Mittwoch bei der Vorstellung der in Buchform verfassten Untersuchung „Pegida – Entwicklung, Zusammensetzung und Deutung einer Empörungsbewegung”. Für die Analyse hatte er zusammen mit seinen Co-Autoren, den Politikwissenschaftlern Maik Herold und Steven Schäller von der TU Dresden, eigene Beobachtungen und Befragungen angestellt sowie vorliegende Studien zu Pegida ausgewertet.
Die fremdenfeindliche Bewegung sei ein „Ausdruck allgemeiner Unzufriedenheit mit der Politik und im Speziellen mit der Flüchtlingspolitik”, sagte Vorländer. Für die Parolen der selbsternannten „Retter des Abendlandes” sei eben nicht nur der Rand, sondern „die Mitte der Gesellschaft anfällig”. „Die Mitte muss gehalten werden”, mahnte Vorländer.
„Sächsischer Chauvinismus”
Während bei Pegida-Ablegern andernorts rechte und rechtsextreme Gruppen das Bild gezeichnet hätten, sehen die Autoren im Dresdner Original eine „Empörungsbewegung”, die sich durch ihre Fixierung auf den Protest gegen Muslime und Migranten „selbst in die rechtspopulistische, zum Teil auch – bei einigen Rednern – in die offen rassistische Ecke gestellt” habe.
Dass Pegida vor allem in Dresden erfolgreich sei, hänge unter anderem mit dem dort seit langem gepflegten „Ethnozentrismus” zusammen, sagte Vorländer. „Dresden ist eine sehr, sehr konservative Großstadt, ist ein ganz besonderes politisches Biotop, ist mehr Mythos als wirkliche Stadt, hat eine geringer ausgeprägte Urbanität und lebt sehr stark von den Erzählungen oder – wie wir es nennen – Narrativen der Vergangenheit.”
Auch gebe es im Freistaat „so etwas wie sächsischen Chauvinismus” und infolge des Ost/West-Problems nach wie vor eine große „Reserviertheit gegenüber dem westdeutschen politischen System und den westdeutschen Medien”, sagte der Professor.
Flüchtlingswelle gab Pegida erneut Auftrieb
Im Sommer vergangenen Jahres auf nur noch wenige Kundgebungsteilnehmer zusammengeschrumpft, habe die Flüchtlingskrise Pegida „ein zweites Leben eingehaucht”, sagte Vorländer. Die fremdenfeindliche Bewegung hätte geschätzt zwischen 3000 bis 4000 Anhänger weniger, wenn es die Flüchtlingskrise nicht gebe, ist er überzeugt. Letztere habe jedoch der Bewegung im Herbst 2015 „neues Leben eingehaucht”.
Mit Blick auf Reden von Pegida-Frontfrau Tatjana Festerling sprach Vorländer von „offenem Rassismus”. Das von ihr verwendete Bild der Mistgabel, mit der klardenkende Bürger die Regierungspaläste, Kirchen und Pressehäuser ausmisten müssten, lasse sich von einigen durchaus als Aufruf zum Systemsturz verstehen.
Überhaupt sei eine „Radikalisierung der Rhetorik, die Verrohung auf der Straße und die Gewalt am Rande” zu beobachten. Dass Hass-Reden von den Demonstrationsteilnehmern akzeptiert werden, bezeichnete Vorländer als ein „Phänomen, das nicht wirklich nachzuvollziehen ist”. Er erklärt es mit einer Unterscheidung zwischen Rednern und Teilnehmern. In der Tat werde eine radikale Rhetorik gepflegt, die aber von den Teilnehmern nur zum Teil geteilt werde, sagte Vorländer.
Teilnehmer unterhalten sich lieber untereinander
Auch würden die Reden von einigen Demonstranten akustisch gar nicht wahrgenommen, sie hörten den Protagonisten gar nicht zu. Dagegen pflegten sie mit den regelmäßigen Kundgebungen „eine Form ritueller Gemeinschaftsförderung”. Das „wöchentliche montägliche Ritual” sei ihnen wichtig, zum Teil unterhielten sich Teilnehmer vor allem untereinander.
Anders ausgedrückt: Manche gingen nur zu Pegida, „um sich zwei Stunden an der frischen Luft Erleichterung zu verschaffen”.
Ein Ende der Pegida-Bewegung sei nicht abzusehen. „Es kann sich nur irgendwie selbst erschöpfen, es muss sich totlaufen”, sagte Vorländer. Eine Entwicklung zu einer Partei, deren Bildung Pegida-Chef Lutz Bachmann mehrfach angekündigt hat, sieht der Politikwissenschaftler nicht. Der politische Raum sei bereits besetzt, etwa mit Parteien wie der AfD. „Da gibt es für Pegida keinen Platz.”