In Deutschland verschwinden immer öfter Mädchen aus der Schule, weil sie verheiratet wurden. Der Kinderschutzbund fordert, das Ehealter grundsätzlich auf 18 Jahre festzulegen – ohne Ausnahmen.
Es gibt sie wieder in Deutschland – die Kinderbraut, meist verheiratet mit einem älteren Mann. Die Kinderehe kommt mit der Flüchtlingswelle, aber sie wird auch hierzulande geschlossen, nach Scharia-Recht oder in Roma-Familien, unter dem Radar der Behörden. Über 1000 Kinderehen haben die Bundesländer gezählt. Doch die Dunkelziffer ist hoch.
Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) kündigt gegenüber der „Welt am Sonntag” jetzt die Einrichtung einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe an, die sich ab dem 5. September in Berlin mit den Kinderehen befassen wird. Nach geltendem Recht sollen Ehen in Deutschland nicht vor der Volljährigkeit geschlossen werden, Ausnahmen sind bisher aber ab dem vollendeten 16. Lebensjahr möglich.
SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann sagte der „Welt am Sonntag”, der Schutz von Kindern müsse absolute Priorität haben. Das müsse auch für minderjährige Flüchtlinge gelten. „Zwangsehen sind in Deutschland strafbar, das ist auch richtig so. Niemand, erst recht nicht ein Kind, darf zur Ehe gezwungen werden.”
Da diese Ehen oft arrangiert würden, gehe es auch um das Selbstbestimmungsrecht von Mädchen und jungen Frauen, das unser Staat schützen müsse, sagte Oppermann. „Denn Kinderehen führen bei Mädchen oft zu frühen Schwangerschaften und Schulabbruch. Insbesondere junge Flüchtlinge müssen aufgeklärt werden, welche Rechte sie in Deutschland haben.”
Der Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Innenausschuss des Bundestages, Armin Schuster, sagte: Der Missbrauch von Minderjährigen und Kindern könne nur unterbunden werden, „wenn sich die Ehemündigkeit ausschließlich nach deutschem Recht richtet. Eine diesbezügliche Gesetzesänderung halte ich für dringend erforderlich.”
Denn bisher würden in Deutschland Ehen nach dem Recht des Staates anerkannt, dem die Ehegatten angehörten. Viele Flüchtlinge stammten aber aus Gesellschaften, in denen die Eheschließung mit Minderjährigen und Kindern legal sei. „Dadurch wurden Ehen in Deutschland anerkannt, obwohl sie gegen unser Recht verstoßen.”
Kinderschutzbund für Haftstrafen von bis zu fünf Jahren
Der Deutsche Kinderschutzbund fordert ein striktes Mindestheiratsalter von 18 Jahren. „Die Regierung sollte die Ausnahmeregelung im Bürgerlichen Gesetzbuch abschaffen, um die Ehemündigkeit konsequent auf 18 Jahre festzusetzen”, sagt dessen Präsident Heinz Hilgers.
„Zudem muss das Strafrecht so geändert werden, dass auch Ehen, die durch eine religiöse oder soziale Zeremonie und nicht vor einem Standesamt geschlossen werden, als Zwangsverheiratung und damit als Straftatbestand erfasst werden können, der mit bis zu fünf Jahren Haft belegt ist”, betont Hilgers.
Auch Irmgard Schwaetzer, Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), kann sich „eine generelle Anhebung des Mindestalters für beide Ehepartner auf 18 Jahre gut vorstellen”. Ausnahmeregelungen sollten fallen: „Kinderehen gehören nicht in unsere Gesellschaft.” Die Politik müsse die Rechte aller Minderjährigen schützen, egal aus welchem Rechtssystem sie einwanderten.
„Ein klares Nein zu Kinderehen”
Bayern und Nordrhein-Westfalen dringen für im Ausland geschlossene Ehen auf eine schnelle gesetzliche Regelung, um den Gerichten heikle Abwägungen zu ersparen. „Wir brauchen ein klares Nein unserer Rechtsordnung zu Kinderehen mit unter 16-jährigen Mädchen”, sagt Bayerns Justizminister Winfried Bausback (CSU). Nötig sei eine eindeutige Regelung, die Ehen mit Mädchen dieses Alters nicht anerkenne.
Auch das Kinderhilfswerk Unicef ist besorgt wegen der Kinderehen, dessen Geschäftsführer Christian Schneider sagt: „Für das Wohl von Flüchtlingskindern, die in Deutschland leben, trägt der Staat eine besondere Schutzverantwortung – für sie gelten die gleichen Grundsätze wie für deutsche Kinder.” Man müsse bundesweit rechtliche Standards für den Kinderschutz in Erstaufnahmeeinrichtungen oder Gemeinschaftsunterkünften festschreiben und umsetzen.
Aus der Praxis berichtet die Chefin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Marlis Tepe: „Als Folge von Verheiratung und Schwangerschaft kommen Schülerinnen in besonderen Fällen nicht mehr in die Schule.”
Solche Schulen sollten mit Unterstützung etwa der Jugendhilfe der Sache nachgehen, um für Mädchen das Recht durchzusetzen. Indes hält der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, den Begriff „Kinderehe” für verharmlosend: „Es sind keine Ehemänner, sondern oft Kinderschänder, die bestraft werden müssen.”
http://www.welt.de/politik/deutschland/article157653410/Bundeslaender-zaehlen-mehr-als-1000-Kinderehen.html