Matteo Renzi hatte Tränen in den Augen. „Das Volk hat gesprochen, es ist ein Fest der Demokratie”, sagte er. Es war ein mutiger Auftakt für seinen Abgang. So einen aufgewühlten Renzi mit rot geränderten Augen hatten die Journalisten in den knapp drei Jahren seiner Regierung nie gesehen.

Ja, die Italiener hatten gesprochen, waren an die Wahlurnen gegangen und hatten Nein gesagt zur Mutter aller Reformen, der Erneuerung der italienischen Verfassung. Sie sollte der vorläufige Höhepunkt von Renzis schneller Karriere werden. Aber nach der Niederlage bestand für den Premier kein Zweifel: „Ich habe verloren, meine Regierung ist hiermit beendet.” Das gehörte, wie er noch sagte, zu den Spielregeln einer neuen Politik, mit der er sein Land gerne ausgestattet hätte.

Die mehreren Hundert Journalisten und Kameraleute, die kurz nach Mitternacht in den Palazzo Chigi, den Sitz des Premiers, gekommen waren, hatten es längst begriffen, als Renzi mit First Lady Agnese Landini den Saal der Pressekonferenz betrat. Landini hatte noch den Pullover an, mit dem sie morgens an der Wahlurne geknipst worden war, stellte sich einige Schritte von ihm entfernt in die Ecke, tiefe Ringe unter den Augen.

Es fiel dem Premier sichtlich schwer, das Unvermeidliche zu sagen: „… Und ich werde dem Staatspräsidenten morgen Nachmittag meinen Rücktritt überreichen.” Pause. Ein betretener Blick auf das Plexiglaspult vor ihm. Wieder das Ringen mit den Tränen. Er zählte dann noch auf, was seine Regierung erreicht hat in knapp drei Jahren, Reformen, Gesetze. „Viva Italia“, trotzdem, und den Anführern der Nein-Front, die nun die Verantwortung für die Zukunft tragen sollen, „einen Glückwunsch und frohes Schaffen”.

Nachricht verbreitete sich wie stille Post

Die Journalisten hatten die Niederlage schon Stunden vorher begriffen, nicht nur weil inoffizielle Prognosen wie stille Post die Runde machten. Sie sahen es im Gesicht von Regierungssprecher Filippo Sensi, einer Frohnatur, die selbst der Stakkato-Rhythmus, mit dem Matteo Renzi seine politische Agenda absolviert hatte, nie aus der Ruhe bringen konnte. Sensi war immer stoisch, freundlich, fröhlich und hatte in den schlimmsten Momenten ein Lächeln für die Kollegen parat. An diesem Abend musste er sich dazu zwingen, als er in die Parteizentrale der sozialdemokratischen PD kam und durch das Spalier eilte, nur ein knappes „Bis später!” rief.

Nach der Ansprache von Renzi wurden im Pressesaal eilig Kameras und Computer abgebaut. Dann ging es hinüber zur Piazza Montecitorio, wo im gleichnamigen Palazzo das italienische Abgeordnetenhaus liegt, gleich nebenan vom Palazzo Chigi, um die Stimmen der Opposition einzuholen.

Auf der Einkaufsmeile Via del Corso, die sich vor dem Regierungspalast durch die Altstadt zieht, sind kaum Menschen, nur wenige Touristen. Die Kneipen sind dicht, die Restaurants leer. Vor dem Palazzo Chigi stehen zwei Familien aus Palermo auf Sizilien. Sie wünschen sich ein Nein. Warum? „Weil sonst die Demokratie gefährdet wäre”, sagt ein Familienvater. Italien brauchte jetzt endlich mal eine ordentliche Regierung, einen Politiker wie Giorgio Almirante. Der war der Gründer der neofaschistischen Partei Movimento Sociale.

An der Piazza liegt das „Capranichetta”, ein ehemaliges Kino, das heute Abend als Hauptquartier der Fratelli d’Italia, der nationalkonservativen Splitterpartei, dient. Es gibt Kaffee und Kekse. Die Prognosen zum Referendum sorgen für glückliche Gesichter. Einige Organisatoren tragen Italienflaggen heran. Als Renzi seinen Rücktritt verkündet, gibt es eine Feier. Die Parteisekretärin Giorgia Meloni kommt aus dem Saal und versucht, vor den Reportern durch eine Gasse neben dem Parlament ihren Pkw zu erreichen. Was wird sie jetzt tun? „Sofortige Neuwahlen einberufen!”, sagt sie ohne Zweifel.

„Wir haben die Verfassung verteidigt”

Unterdessen ist der Journalistentross aus dem Regierungspalast ins Parlament umgezogen. Die Fünf-Sterne-Abgeordneten geben Erklärungen ab, man kommt nicht mehr in den Saal. Am Ende der Konferenz um ein Uhr stürmt einer der Stars der Bewegung, Alessandro Di Battista, aus dem Saal. Er wimmelt alle Journalisten ab. Nur der deutschen „Welt“-Reporterin genehmigt er Fragen.

Muss Europa Angst vor den Fünf-Sterne-Populisten haben? „Nein, und ich möchte den Deutschen ausdrücklich sagen, dass wir keine populistische Partei sind. Antipolitik, die hat Renzi gemacht. Wir haben die Verfassung verteidigt.” Aber Fünf-Sterne-Anführer Beppe Grillo ist doch ein Populist! „Er ist der Gründer unserer Bewegung.” Was werden sie jetzt tun? „Es muss sofort Neuwahlen geben.” Wird er der Spitzenkandidat für das Amt des Premiers sein? „Wer unser Kandidat sein wird, entscheiden die Wähler in der Urwahl.”

Dann nimmt er im Laufschritt gleich zwei Stufen der mit einem roten Teppich belegten Treppe hinauf in sein Büro.

Draußen auf dem Parlamentsplatz keine Feier, keine knallenden Sektflaschen. Es stehen Dutzende schwer bewaffnete Polizisten herum, aber sie haben nichts zu tun. Eine kleine Gruppe radikaler Demonstranten zieht lärmend durch die Via del Corso ab.

Aus der Tasche quietscht eine Stimme, es ist das Video von der Renzi-Konferenz, das sich selbstständig in Gang gesetzt hat. „In den 1000 Tagen, die ich in diesem Palast wohnen durfte, habe ich außerordentliche Möglichkeiten gesehen. Aber wir konnten mit unserer Reform nicht überzeugen. Wir haben einen guten Kampf gekämpft.” Im Hof des Palazzo Chigi steht seine schwarze Limousine. Ein Polizist an den Sperrgittern der Piazza grüßt. „Buona Notte … Italia”, sagt er leise. Dann wird es still in dieser italienischen Nacht.

https://www.welt.de/politik/ausland/article159975834/Beim-Ruecktritt-kaempft-Renzi-mit-den-Traenen.html