Die angeblichen Krankheiten Polens

Die polnische Regierung rechtfertigt ihre umstrittenen Reformen mit Fehlern der Vorgängerregierung. Doch anstatt diese zu beheben, verschlimmert sie sie noch.

Die angeblichen Krankheiten Polens

Tausende haben am Samstag vor dem Sitz von TVP in Warschau gegen die Medienreform demonstriert. (Bild: Reuters)

«Wir wollen lediglich unseren Staat von ein paar Krankheiten heilen, damit er wieder genesen kann.» Mit diesen gegenüber der deutschen «Bild»-Zeitung geäusserten Worten rechtfertigte Aussenminister Witold Waszcykowski kürzlich das umstrittene Vorgehen der nationalkonservativen polnischen Regierung. Er kritisierte dabei das Politik-Konzept nach «marxistischem Vorbild» der Vorgängerregierung; was er ganz konkret unter den angeblichen Mängeln des Staates versteht, führte er aber nicht aus. In den vergangenen Wochen haben verschiedene Politiker der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) jedoch erklärt, welche Missstände aus ihrer Sicht zu beheben sind.

Noch stärkere Politisierung

Als Hort von Günstlingen der ehemaligen Regierungspartei und «Zentrale der Lüge» bezeichnete ein Abgeordneter der PiS die öffentlichrechtlichen polnischen Medien in der Parlamentsdebatte über die umstrittene Medienreform. Der Fraktionschef Ryszard Terlecki erklärte, in den vergangenen Wochen sei die Berichterstattung der öffentlichrechtlichen Medien und insbesondere des Senders Telewizja Polska (TVP) «extrem unprofessionell» gewesen.

Tatsächlich hatten die öffentlichrechtlichen Medien kritisch über das Vorgehen der neuen Regierung berichtet. Es ist auch nicht von der Hand zu weisen, dass die Besetzung leitender Funktionen von Radio und Fernsehen politisch motiviert war – wie übrigens in vielen anderen Ländern auch. Die Mitglieder des bis anhin als Aufsichtsbehörde operierenden Radio- und Fernsehrats (KRRiT) werden von den beiden Parlamentskammern und vom Präsidenten bestimmt. Seit die PiS 2010 auch das Präsidentenamt verloren hat, verfügt sie im fünfköpfigen Gremium über keinen eigenen Vertreter mehr. Allerdings hatten dem KRRiT während der Regierungszeit der PiS von 2005 bis 2007 ebenfalls keine der Opposition nahestehenden Mitglieder angehört.

Der Austausch von Mitgliedern des Rats ist nach einem Regierungswechsel normal, die PiS ging nun aber mit ihrer Reform darüber hinaus. Die Amtszeiten der bisherigen Vorstandsmitglieder von Radio und Fernsehen haben sofort nach Inkrafttreten des Gesetzes am Freitag geendet. Zudem verliert der KRRiT seine Aufsichtsfunktion: Die Wahl der Vorstände der öffentlichrechtlichen Medien erfolgt künftig durch den Schatzminister, wobei der bis anhin vorgesehene Wettbewerb im Vorfeld entfällt. Damit wird ein tatsächliches Problem der öffentlichrechtlichen Medien in Polen – der starke politische Einfluss – gar noch verschärft. Mit Jacek Kurski hat Schatzminister Dawid Jackiewicz am Freitag denn auch einen PiS-Politiker zum neuen Chef von TVP gemacht, der sich einst selbst als «Bullterrier» des allmächtigen Parteivorsitzenden Jaroslaw Kaczynski bezeichnete.

Diese Änderungen sind nur ein erster Schritt einer breiter angelegten Medienreform, die bis im Frühling erfolgen soll. Dabei geht es auch um inhaltliche Vorgaben. Kulturminister Piotr Glinski sprach nach Amtsantritt von einer Mission, welche die öffentlichrechtlichen Medien erfüllen sollen. Er bestätigte letzte Woche zudem Berichte, wonach ein neues Gesetz die Arbeitsverhältnisse aller Mitarbeiter von öffentlichrechtlichen Medien beendigen soll. Über deren Fortsetzung werden die neuen Direktoren im Einzelfall entscheiden.

Darüber hinaus sollen aber auch private Medien in den Fokus geraten. Nachgedacht wird etwa darüber, von ausländischen Verlagen gehaltene Anteile aufzukaufen. Politiker der PiS beklagen immer wieder den Einfluss deutscher Verlage auf den Medienmarkt, der damit deutschen Interessen diene. Auch diese Kritik hat einen wahren Kern. So haben zahlreiche Regionalmedien deutsche Eigentümer, und die auflagenstarke Boulevardzeitung «Fakt» sowie das Nachrichtenmagazin «Newsweek Polska» gehören dem deutsch-schweizerischen Gemeinschaftsunternehmen Ringier Axel Springer. «Fakt» hat keine eindeutige politische Ausrichtung, «Newsweek» beurteilt die Regierung dagegen skeptisch. Es ist jedoch keineswegs so, dass Polens Medien die PiS grundsätzlich unfair behandeln. Zwar pflegt die liberale «Gazeta Wyborcza», Aushängeschild der Presselandschaft, seit Jahren eine Fehde mit Kaczynski. Es existiert aber eine Reihe konservativer Medien, die diesem huldigen, etwa Radio Maryja, der Sender TV Republika oder die «Gazeta Polska».

Demokratie vor Rechtsstaat?

Wie die Reform der öffentlichrechtlichen Medien begründet die Regierung auch diejenige des Verfassungsgerichts damit, dass dieses eine Bastion der liberalen Vorgängerregierung sei. Die Richter des fünfzehnköpfigen Gremiums werden jeweils vom Sejm (Unterhaus) nominiert und vom Staatspräsidenten für eine Amtszeit von neun Jahren vereidigt. Aufgrund der acht Jahre langen Regierungszeit der bürgerlich-liberalen Bürgerplattform (PO) stellen von dieser Partei nominierte Richter tatsächlich die klare Mehrheit im Gericht, wobei die PiS einige dieser Juristen im Sejm jedoch ebenfalls unterstützt hatte.

Wahlen für das Verfassungsgericht seit 2006 mit dem Stimmverhalten der beiden grossen Parteien.

Fünf von der PiS 2006 in ihrer ersten Regierungszeit nominierte Richter schieden im Jahr 2015 regulär zum Ende der Amtszeit aus. Die PO hatte im Juni, als ihre Wahlniederlage bereits absehbar war, eine Änderung des Wahlmodus beschlossen, die ihr erlaubte, alle diese fünf Richter neu zu bestimmen – auch zwei, deren Amtszeit erst im Dezember und damit in der neuen Legislaturperiode auslief. Allerdings hat das Verfassungsgericht selbst diesen Akt im Dezember für verfassungswidrig erklärt und damit die Wahl von zwei Richtern wieder aufgehoben. Das differenzierte Urteil hätte der PiS als Beweis dafür dienen können, dass das Gericht auf Basis des Rechts und nicht nach parteipolitischen Motiven entscheidet. Die Regierungspartei hatte aber bereits zuvor die Wahl aller fünf Richter für ungültig erklärt und ihrerseits neue Richter ernannt. Sie hat damit ein Chaos vergrössert, an dessen Ursprung die PO stand.

Selbst mit diesen fünf Richtern verfügen konservative Juristen jedoch über keine Mehrheit im Höchstgericht. Die PiS ging deshalb wiederum weiter und änderte das Verfassungsgerichtsgesetz, so dass dieses nur noch mit Zweidrittelmehrheit entscheiden kann. Dies ist womöglich verfassungswidrig, legt das Grundgesetz doch fest, dass das Gericht mit Stimmenmehrheit entscheide. Es ist derzeit aber völlig unklar, in welcher Zusammensetzung und nach welchen Modalitäten das Gericht diese Bestimmung überhaupt beurteilen sollte. Die Novelle sieht weiter vor, dass das Verfassungsgericht in sehr viel mehr Fällen als bis anhin als Kollegium entscheiden muss, wofür 13 statt wie bis jetzt 9 Richter anwesend sein müssen. Nach Einschätzung zahlreicher Experten wird dies das Gericht überlasten und Urteile auf Jahre hinauszögern. Das Erreichen einer Zweidrittelmehrheit wird zudem in den seltensten Fällen möglich sein. Das Verfassungsgericht ist damit als Kontrollorgan faktisch ausgeschaltet.

Die Regierung argumentiert – ohne entsprechende Beweise –, das Gericht wolle ihre Reformen verhindern, für welche sich das Volk bei der Wahl im Oktober ausgesprochen habe. Doch einerseits hat die Bevölkerung die Regierung anders als etwa in Ungarn gerade nicht mit einer verfassungsändernden Mehrheit ausgestattet. Andererseits bedingen sich Demokratie sowie Gewaltenteilung und die Einbindung in rechtsstaatliche Prinzipien gegenseitig, um Auswüchse einer willkürlichen Diktatur der Mehrheit zu verhindern.

Forrás: http://www.nzz.ch