Die Brasilianer sind von ihrer politischen Klasse viel gewohnt. Schuldenkrisen, Korruptionsskandale, Hyperinflation, Währungsreformen. Aber dass ein amtierender Staatspräsident mitgewirkt haben soll, einen gefährlichen Mitwisser in einem Korruptionsfall zum Schweigen zu bringen, könnte zu viel sein.
Das Oberste Bundesgericht Brasiliens hat am Donnerstag Ermittlungen gegen den Präsidenten genehmigt. Das Gericht habe Ermittlungen eingeleitet. Führt das zum nächsten Präsidentensturz? An den Finanzmärkten war der Fallout deutlich zu spüren. Brisante Enthüllungen und Spekulationen über einen Rücktritt von Brasiliens Präsident Michel Temer haben am Donnerstag Währung und Börse des Landes abstürzen lassen.
Der Leitindex Ibovespa fiel an der Börse in São Paulo um 10,5 Prozent, der Handel wurde zeitweilig ausgesetzt. Die Landeswährung Real verlor zum Dollar rund sieben Prozent.
Temer soll aktiv geholfen haben, mit Hilfe von Geldzahlungen einen Mitwisser in einem Korruptionsskandal zum Schweigen zu bringen. In Brasilia war nach dem Bekanntwerden von angeblich stark belastenden Tonaufnahmen von einer „Atombombe“ die Rede.
Die Reformen stehen auf dem Spiel
Der Präsident wies den Vorwurf zwar umgehend zurück. Es dürfte für die Regierung aber auf jeden Fall schwerer werden, geplante Reformenumzusetzen.
Genau diese Reformagenda war es, die das Land in den Augen der großen Investoren so attraktiv machte. Die amerikanische Großbank JP Morgan senkte am Donnerstag den Daumen über brasilianische Aktien und kassierte ihre Kaufempfehlung ein. Der brasilianische Index könnte weiter an Boden verlieren, so JPMorgan-Mann Pedro Martins.
Auch die Strategen der Bank of AmericaMerrill Lynch und der Citigroup äußerten sich skeptisch. „Temer war bisher der Garant dafür, dass Brasilien so gut gelaufen ist“, sagt Dirk Willer, Stratege der Citigroup. In all den Wirren war er der stabilisierende Faktor, der auch das Parlament zu einen wusste. Demnächst sollte die wichtige Rentenreform verabschiedet werden. „Das alles steht jetzt auf dem Spiel.“
Der konservative Temer hatte erst vor einem Jahr die suspendierte und später des Amtes enthobene linke Präsidentin Dilma Rousseff abgelöst. An den Märkten war der Wechsel positiv aufgenommen worden. Brasilien gehört neben Mexiko und Russland zu den Hoffnungsträgern unter den Schwellenländern. Die Anleihen des Landes befinden sich in den Portfolios vieler großer Investoren.
Brasilien, bis 2015 noch siebtgrößte Volkswirtschaft der Welt, befindet sich in einer tiefen Rezession. 2015 sank die Wirtschaftsleistung um 3,8 Prozent, 2016 um 3,6 Prozent. 13,5 Millionen Menschen sind arbeitslos. Das Land fiel im globalen Ranking auf den zehnten Platz zurück.
Ausländer ziehen ihr Geld ab
Zuletzt gab es Anzeichen einer leichten Besserung, die Märkte trauten Temer zu, Brasilien wieder nach vorn zu bringen. Sie begrüßten seine Privatisierungspläne, etwa bei großen Flughäfen, die Arbeitsmarktreformen, die Unternehmen mehr Freiheiten geben sollen und eine Rentenreform, die die Staatsfinanzen entlasten sollte.
Aber die Vorwürfe, dass Temer versucht hat, Informationen eines Mitwissers zu unterbinden, könnten den 76-Jährigen zu Fall bringen. Seine Beliebtheit war zuletzt auf neun Prozent gesunken.
Ausländer zogen ihr Geld aus dem Real ab. Das Finanzministerium teilte mit, notfalls dem Markt zusätzliche Liquidität zukommen zu lassen. Das gesamte Land ist über die jüngste Affäre in Misskredit geraten. Die Pleitewahrscheinlichkeit schoss kräftig in die Höhe. Investoren beziffern die Gefahr, dass das Land in den kommenden fünf Jahren in einen Staatsbankrott schlittert, auf 17 Prozent – ein Anstieg um mehr als vier Prozentpunkte.
Die stärksten Verwüstungen zeigten sich an der Börse. In Sao Paolo verlor der Leitindex innerhalb von nur einer halben Stunde sämtliche Gewinne des Jahres. In Dollar gerechnet fiel der IBovespa sogar auf das Niveau von Sommer 2016 zurück.
Inhaftierten Politiker mit Geld zum Schweigen bringen
Zu den größten Verlierern zählten Petrobas mit einem Abschlag von rund 20 Prozent. Die Aktien des Fleischproduzenten JBS verloren fast 15 Prozent. Den Anschuldigungen zufolge wird Temer durch die Aufzeichnung eines Gesprächs mit dem JBS-Verwaltungsratsvorsitzenden Joseley Batista belastet.
Temer soll grünes Licht gegeben haben, den inhaftierten Ex-Parlamentspräsidenten Eduardo Cunha mit einer Geldzahlung zum Schweigen zu bringen. Cunha gilt als einer der bestinformierten Politiker Brasiliens, wenn es um all die Verwicklungen des Lava-Jato-Korruptionsskandals geht, der das Land seit drei Jahren in Atem hält und die ganze politische Klasse in Misskredit gebracht hat.
Es geht um Schmiergeldzahlungen von Petrobras-Auftragnehmern, die an politische Parteien geschleust wurden. Hochrangige Manager und Politiker wurden in der Affäre angeklagt. Die frühere brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff stolperte über den Skandal.
https://www.welt.de/finanzen/article164723132/An-den-Finanzmaerkten-ist-der-Fallout-deutlich-zu-spueren.html