Vielen Menschen, längst nicht nur in Holland, ist nach der Wahl in den Niederlanden ein Stein vom Herzen gefallen: Geert Wilders’ Freiheitspartei ist mit einem Programm gegen die Europäische Union und gegen den Islam nicht zur stärksten politischen Kraft in diesem Kernland der EU geworden.
Uff! Das Plumpsen dieses Steins der Erleichterung konnte man weit jenseits der Amsterdamer Grachten quer durch den Kontinent hören, besonders in Berlin. Aus dem Kanzleramt twitterte Minister Altmaier seinen Dank „an den Champion” gar in jubelndem Niederländisch.
Auch SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz äußerte sich „erleichtert” über die Eindämmung des Rechtspopulismus. Und sogar die Kanzlerin persönlich gratulierte noch in der Nacht telefonisch ihrem bisherigen und zukünftigen Amtskollegen Mark Rutte. Da wurde das kleine Holland wenigstens für eine Nacht zum Herzen Europas, das wieder stark und sicher klopft.
Niederländer verstehen die Aufregung nicht
Auf den ersten Blick ist die Freude nachvollziehbar. Die Umfragen seit Jahresbeginn ließen einen Erdrutschsieg für die Frontalopposition von Wilders befürchten. Wenn nach dem üblen Erwachen mit Brexit und Trump für die anderen Europäer aus Den Haag die nächste Hiobsbotschaft erschollen wäre – was für ein schlimmes Omen für die folgenden Wahlen in Frankreich und Deutschland!
In den Niederlanden war man gelassener, denn da hatte man bereits eine de-facto Regierungsbeteiligung von Wilders zwischen 2010 und 2012 hinter sich, mit sehr gemischten Erfahrungen. Doch das Land hat es überlebt.
Daher werden sich viele niederländische Bürger die Augen gerieben haben, wie sehr sich die Medien aus der halben Welt diesmal auf ihr kleines Land fokussierten, als hänge der Fortbestand der europäischen Zivilisation von ein paar mehr oder weniger Prozent für Wilders ab. Offenbar ist man sehr nervös geworden in Europa.
Düstere Stimmung in Europa kurz aufgehellt
Eine wirkliche Gefahr bestand dabei in Wahrheit nicht. Denn mit Wilders wollte ohnehin keine andere politische Partei zusammenarbeiten, und absolute Mehrheiten gibt es im bunten Holland traditionell nicht einmal ansatzweise.
Den verhaltenen Jubel vor allem im Ausland kann man eher mit der düsteren Grundstimmung erklären: Endlich mal gewinnt mit Mark Rutte ein Politiker, der sich als überzeugter Europäer für die Zusammenarbeit in der EU, für den liberalen Rechtsstaat einsetzt – und zugleich die Provokationen des türkischen Präsidenten Erdogan kühl, ja sogar mit der Polizei kontert. Offenbar ist diese Mischung mehrheitsfähig.
Im Detail jedoch sieht die holländische Jubelfeier trister aus. Rutte ist ein Sieger, der mal eben ein Fünftel seiner Wählerschaft verloren hat, während Wilders trotz einer extrem hohen Stimmbeteiligung ein paar Prozent gewinnen und Zweiter werden konnte.
Wilders‘ Themen dominierten den Wahlkampf
Daher sein Trotz: „Rutte ist mich noch lange nicht los.” Und hat Wilders nicht recht, wenn er reklamiert, dass seine Kernthemen – Islam- und Türkeikritik, EU-Müdigkeit und Sozialstaat – den gesamten Wahlkampf dominiert haben?
Jedenfalls war die Härte selbst von Sozial- und Christdemokraten gegenüber Asylbewerbern und Zuwanderern sehr wohl von Wilders’ Agenda geprägt. Der Kulturkampf mit einem radikalen und gewaltätigen Islam, der in Holland prominente Tote gefordert hat, wird jedenfalls weitergehen – mit den rechtsstaatlichen Mitteln der bald regierenden Parteien, aber auch mit dem Holzhammer von Wilders.
Erwähnt sei hier, dass mit der Bewegung „Denk” erstmals eine rabiate Islampartei in ein europäisches Parlament einzog. In der einst linken Arbeiterstadt Rotterdam ließen die Muslime die Sozialdemokraten locker hinter sich – ein Menetekel?
Zufriedenheit über Wahlausgang wirkt surreal
Schauen wir weiter auf die Schwesterparteien von CDU und SPD, dann wirkt die Zufriedenheit von Altmaier, Schulz und Merkel etwas surreal. Die holländischen Sozialdemokraten von der Partij van de Arbeid (PvdA) haben gestern Abend nämlich kein Fiasko erlebt, sondern ein Massaker.
Noch nie hat eine Partei in der Nachkriegsgeschichte des Landes so viele Wähler eingebüßt wie die stolze PvdA unter ihrem neuen und glücklosen Vorsitzenden Lodewijk Asscher. So kann das gehen in der nervösen Digitaldemokratie: gestern noch stolzer Großkoalitionär mit 25 Prozent, heute Splitterpartei mit nicht einmal sechs Prozent. Wenn diese Wahl für Martin Schulz „Erleichterung” bringt, dann gute Nacht SPD!
Nach dem Erdbeben auf links können sich die Christdemokraten, die traditionell stärkste und meist regierende Partei auch in Holland, jetzt immerhin als natürlicher Koalitionspartner für den konservativ-liberalen Premier Rutte anbieten.
Doch auch hier nur auf dem bescheidenen Niveau von gut zwölf Prozent. Das ist für die Regierungsbank grade genug, aber zum Gestalten arg bescheiden – und keineswegs ein aufmunterndes Signal der holländischen „Champions” nach Berlin. Denn auch die Christdemokraten sind bei unseren westlichen Nachbarn keine Volkspartei mehr.
Schwierige Koalitionsverhandlungen in Den Haag
Wie geht es weiter? Ruttes Wirtschaftsliberale können sich mit den Christdemokraten und den solide erstarkten linksliberalen Stadtyuppies der Partei D66 eine bequeme Koalition bauen. Doch für das Gruppenfoto mit König fehlen noch ein halbes Dutzend Sitze in der „Tweede Kamer” zu Den Haag.
Mithilfe zweier frommer Calvinistenparteien oder zur Not mit Duldung von Senioren oder Tierschützern, die ihren Anteil jeweils verdoppeln konnten, werden die bewährten Kompromisskünstler aus den Niederlanden bald eine neue und durchaus stabile Regierung bekommen.
Eigentliche große Wahlsieger in diesem bunten Tulpenbeet von Parteien waren ohnehin die Grünen unter ihrem jungen und fast schon charismatischen Anführer Jesse Klaver. Die alten Hippies und diejenigen Jungen, die nicht ohnehin Wilders cool fanden, wählten Klaver. Aber seine Hoffnung, nach dem Allzeithoch seiner Partei (neun Prozent) mit den rechteren Parteien gemeinsam zu regieren, wird wohl vorerst ein Traum bleiben.
Ruttes Auftreten gegenüber der Türkei als Vorbild für Europa?
Immerhin – eine weitere „populistische Revolution” ist der angeschlagenen EU und den verunsicherten Europäern diesmal erspart geblieben. Ob das Hoffnung macht für die eigentliche Schicksalsfrage 2017, die Präsidentschaftswahlen in Frankreich, haben auch die dortigen Kandidaten der Mitte in der Hand, die es in Paris endlich besser machen müssen – am besten nach dem Vorbild des ebenso bescheidenen wie sturen Mark Rutte.
Sein eindeutiges Auftreten gegen Erdogan dürfte ihn im Endspurt vor Wilders gerettet haben. Diese Botschaft rechtsstaatlichen Selbstbewusstseins darf in der weichgespülten Erleichterung nicht untergehen – gerade in Richtung Berlin.
Hollands führende Zeitung, „NRC Handelsblad“, karikierte Rutte nach dessen – relativem – Sieg genial hinterlistig: jubelnd mit erhobenen Armen und einer Fahne in der Hand. Diese Fahne ist aber nicht die niederländische, sondern die türkische.
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https://www.welt.de/debatte/article162893546/Diese-Erleichterung-in-Europa-ist-surreal.html