Solche Szenen wiederholen sich Tag für Tag im Süden Deutschlands. Am Badischen Bahnhof in Basel steigen zwei Bundespolizisten in den ICE 278 aus Interlaken nach Berlin, sie werden von zwei Zollfahndern begleitet. Ihr Auftrag: Flüchtlinge aufspüren, die illegal aus der Schweiz nach Deutschland einreisen.
Die Beamten werden fast immer fündig. An diesem Dienstagmorgen gehen ihnen ein Ehepaar aus Kamerun und eine somalische Mutter mit Kleinkind ins Netz. Alle haben Fahrscheine gelöst, allerdings die falschen. Das Baden-Württemberg-Ticket gilt nur in Nahverkehrszügen.
Doch das ist nicht das einzige Problem. Wie sich später auf dem Revier der Bundespolizei in Freiburg herausstellt, sind die Flüchtlinge bereits in der Schweiz beziehungsweise in Italien registriert worden und haben dort auch Asylanträge gestellt.
Nach europäischem Recht hätten sie keine Bleibechance in Deutschland. Erneute Asylanträge in der Bundesrepublik sind demnach zum Scheitern verurteilt. Das Dublin-Abkommen zwischen den Schengenstaaten sieht vor, dass solche Migranten zurückgeführt werden müssten – im konkreten Fall also jeweils nach Italien und in die Schweiz. Doch in der Praxis funktioniert das nur selten.
Denn Deutschland überstellt nur wenige Schutzsuchende in andere Schengenstaaten. Das geht aus Zahlen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hervor, die der „Welt“ vorliegen. Demnach hat die Bundesrepublik von Januar bis September dieses Jahres exakt 40.000 Übernahmeersuchen an Mitgliedstaaten gestellt. Letztlich wurden aber nur 2860 Personen in diese Länder abgeschoben.
Besonders schwierig sind Abschiebungen nach Ungarn
Nur sieben Prozent aller Flüchtlinge, die Deutschland rückführen wollte, sind also tatsächlich bei den Schengen-Partnern eingetroffen. Als besonders schwierig erwiesen sich Rückführungen nach Ungarn. An keinen Staat richtete Deutschland mehr Anfragen – 10.082 nämlich. Allerdings war das aufwendige Unterfangen in nur 248 Fällen erfolgreich. Die meisten Schutzsuchenden schob die Bundesrepublik nach Italien (743) und Polen (553) ab.
Von Januar bis Ende September 2016 kamen insgesamt 213.000 Schutzsuchende nach Deutschland. Streng genommen müsste eine große Mehrheit von ihnen Deutschland wieder verlassen – zumindest dann, wenn die Dublin-Regelung eingehalten würde.
Doch spätestens in der Flüchtlingskrise zeigte sich die Schwäche des Systems: Bei Einhaltung des Regelwerks hätte Zentraleuropa alle Verantwortung auf Randstaaten wie Italien und Griechenland abgewälzt. Klar ist aber auch, dass Deutschland als wichtigster Aufnahmestaat in Europa nicht die Hauptlast tragen will. Deshalb werden im Rahmen des Dublin-Abkommens regelmäßig Übernahmeersuchen gestellt.
Auch Deutschland bekommt Anfragen
Übrigens auch von anderen Staaten an Deutschland. In diese Richtung funktioniert das auch deutlich öfter. So waren im gleichen Zeitraum von 24.435 Übernahmeersuchen an Deutschland immerhin 9688 erfolgreich. Das ist eine Erfolgsquote von 40 Prozent. Seit diesem Jahr schieben die übrigen EU-Staaten erstmals mehr Migranten nach Deutschland ab als umgekehrt.
Besonders die von der Flüchtlingskrise gebeutelten Schweden fanden mit ihren Übernahmeersuchen in Berlin Gehör. 3254 Migranten konnten so nach Deutschland gebracht werden. Loswerden wollte die Regierung in Stockholm 4351.
Meistens sind nicht die anderen Länder schuld, wenn Überstellungen aus Deutschland scheitern. Wie das BAMF der „Welt“ mitteilte, legen viele Asylbewerber Klagen gegen die Überstellungsbescheide ein.
Oft tauchen Flüchtlinge auch unter
Wenn das zuständige Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid anordnet, kann der betroffene Migrant bis zum Ende des Hauptsacheverfahrens nicht überstellt werden. Die Bearbeitung solcher Klagen kann mehrere Monate in Anspruch nehmen. In einzelnen Fällen kommt es sogar zur Aufhebung der Überstellungsbescheide.
„Ein zusätzliches Problem ist, dass die Asylbewerber, die überstellt werden sollen, nicht angetroffen werden beziehungsweise untertauchen“, sagte eine BAMF-Sprecherin der „Welt“.
„Nach der aktuellen Rechtslage kann das dazu führen, dass nach Ablauf einer sechsmonatigen beziehungsweise im Fall des Untertauchens 18-monatigen Frist die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens auf Deutschland übergeht.“
https://www.welt.de/politik/deutschland/article158931084/Deutschland-wird-kaum-Fluechtlinge-los.html