Die Suche nach einem Nachfolger für Bundespräsident Gauck treibt die Volksparteien um: Es muss ein Konsens-Kandidat her.
  • In der Bundesversammlung haben nur die große Koalition oder Schwarz-Grün die absolute Mehrheit der Wahlleute.
  • Der konservative Flügel der SPD drängt die Union dazu, Außenminister Frank-Walter Steinmeier zu unterstützen.
Warum das wichtig ist:
Die Bundestagswahl findet sieben Monate nach der Präsidentenwahl statt. Daher ist jede Partei erpicht darauf, sich bei der Kandidatensuche zu profilieren.
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Sämtliche Bundespräsidenten hat Björn Engholm politisch erlebt. In der Ahnenreihe von Theodor Heuss bis Joachim Gauck ragt für den 76-jährigen ehemaligen SPD-Vorsitzenden einer heraus: Richard von Weizsäcker. So distanziert der linke Sozialdemokrat Engholm einst auf den Berliner CDU-Politiker von Weizsäcker geblickt hatte, so angetan ist er noch heute von dessen Präsidentschaft (von 1984 bis 1994). Von Weizsäcker sei für ihn der „Inbegriff eines hervorragenden Bundespräsidenten“. Hohen Verstand habe der besessen und Vernunft, „er war wertorientiert und ein Mann der Kultur“, sagt Engholm. So eine Figur à la von Weizsäcker müsse man wieder finden.

Nichts schwerer als das. Viele dürften Engholms hohe Anforderungen an das künftige Staatsoberhaupt teilen: „Er oder sie sollte Verstand besitzen, mehr noch, vernunftbegabt sein, unsere europäischen Wertvorstellungen repräsentieren, der Empathie fähig und der Kultur zugeneigt. Er sollte eine Vorstellung davon haben, wo unser Land eines Tages stehen sollte.“

Schon wer die Mehrheitsverhältnisse in der Bundesversammlung betrachtet, kann zu dem Schluss kommen, nun müsse ein Konsens-Kandidat her. Nur die große Koalition und Schwarz-Grün nämlich bringen jeweils die absolute Mehrheit der Wahlleute zusammen. Weder Schwarz-Gelb noch Rot-Rot-Grün oder eine „Ampel“ haben eine Mehrheit. Dieser Umstand spricht für das Projekt Konsens-Kandidat, womöglich analog zur informellen ganz großen Koalition in Bundestag und Bundesrat (CDU/CSU, SPD, Grüne).

SPD-Politiker favorisieren einen „linken“ Kandidaten

Doch dann ist da noch die Bundestagswahl, die sieben Monate nach der Präsidentenwahl (12. Februar 2017) stattfinden soll. Natürlich will sich jede Partei profilieren, eine Niederlage vermeiden, wenn es darum geht, das Schloss Bellevue zu besetzen.

Genau vor diesem taktischen Denken indes warnt Engholm. „Die demokratischen Parteien sollten den nächsten Bundespräsidenten jenseits von Parteikalkül auswählen“, sagt der frühere schleswig-holsteinische Ministerpräsident: „Wer einen Kandidaten für das Amt nur aussucht, um damit als Partei vor der Bundestagswahl zu punkten, schürt damit nur Politikverdrossenheit.“

In der SPD sind – meist nur unter dem Gebot der Verschwiegenheit – Stimmen zu hören, die einen „linken“ Kandidaten favorisieren. Doch die Sozialdemokraten kommen nicht einmal zusammen mit Grünen und Linker auf eine Mehrheit unter den 1260 Wahlleuten. Sie selbst stellen gerade einmal gut 30 Prozent der Wahlleute in der Bundesversammlung; die CDU/CSU kommt auf gut 43 Prozent.

Quelle: Infografik Die Welt

Im dritten Wahlgang indes genügt die einfache Mehrheit, um den Präsidenten zu küren. Andererseits: Will man da ungewollte Hilfe durch die AfD erhalten, die dann ihren Zählkandidaten Albrecht Glaser womöglich nicht mehr antreten lässt?

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel äußert sich bislang nicht zu der heiklen Suche nach dem Gauck-Nachfolger – jedenfalls nicht öffentlich. Die Causa Bellevue ist eine geheime Angelegenheit. Er führe Gespräche mit allen Parteien und möglichen Kandidaten, heißt es lapidar über Gabriel. Ein klarer parteipolitisch geprägter Kandidat habe keine Siegeschancen, ist man in der SPD-Spitze überzeugt.

Steinmeier ist „der beste fürs Land“

Die CDU-Vorsitzende, Kanzlerin Angela Merkel, habe in diesem Sinne schon eine Unterstützung von Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) abgelehnt, hatte Gabriel im Frühsommer gesagt. Das war, unmittelbar nachdem Gauck erklärt hatte, er trete nicht noch einmal an. Parteivize Olaf Scholz hatte sich schon im Juni für eine „Integrationsfigur“, nominiert von den Regierungsparteien „am liebsten mit den Grünen“, starkgemacht. In diese Richtung könnte es gehen.

Mancher aber in der SPD will Steinmeier künftig im höchsten Staatsamt sehen. „Frank-Walter Steinmeier wäre ein hervorragender Bundespräsident“, sagt etwa der Sprecher des Seeheimer Kreises in der SPD, Johannes Kahrs. Der Außenminister sei „politisch erfahren, weltweit vernetzt und sehr beliebt“.

NACHMIETER FÜRS SCHLOSS BELLEVUE GESUCHT

Kahrs spricht sich dafür aus, Steinmeier gemeinsam mit der CDU/CSU ins höchste Staatsamt zu wählen: „Frau Merkel und die Union sollten über ihren Schatten springen und sich mit uns für eine Nominierung Steinmeiers starkmachen.“

Den Vorwurf, er wolle hauptsächlich einen Kandidaten mit SPD-Parteibuch, lässt er nicht gelten. Kahrs argumentiert sogar, bei der Wahl des Staatsoberhauptes geht es „nicht um Parteiinteressen, sondern um den Besten fürs Land“. Das aber, sagt Kahrs, sei eben: Steinmeier.

Lammert wird ins Spiel gebracht

Den beliebtesten Politiker Deutschlands, involviert in die Lösung diverser internationaler Krisen, könne man nicht zum „Zählkandidaten“ machen – so wird Kahrs innerhalb der SPD widersprochen. Ein dezidierter CDU-Politiker wie Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier wiederum gilt in der SPD als nicht wählbar.

Gewiss, heißt es dort, Merkel setzt wohl am liebsten ein schwarz-grünes Signal. Das aber wolle die CSU verhindern, registriert die SPD erleichtert, und der linke Flügel der Grünen ohnehin. All das spricht für einen Kandidaten, mit breiter Mehrheit nominiert, der aber keinen Parteistempel trägt, also auch nicht als großkoalitionäres Signal im Hinblick auf die Bundestagswahl 2017 gilt.

Ex-SPD-Chef Engholm hat wiederum zwei mögliche Kandidaten ausgemacht, die zwar im Bundestag sitzen, aber dem parteipolitischen Streit enthoben seien. „Frank-Walter Steinmeier und Norbert Lammert besitzen Vernunft und Verstand, sie sind eigenständige Köpfe“, sagt Engholm: „Beide handeln weder parteilich noch dogmatisch. Steinmeier könnte das Amt des Bundespräsidenten hervorragend ausfüllen, Lammert ebenso.“

https://www.welt.de/politik/deutschland/article158347622/Merkel-sollte-mit-der-SPD-Steinmeier-nominieren.html