Endlich gibt es eine realistische Hoffnung auf eine Lösung des Syriens-Konflikts. Russland und die USA einigen sich auf eine gemeinsame Strategie. Ihr Hauptfeind ist allerdings nicht mehr der IS.

Es war eine Verhandlungsrunde, die kein Ende nehmen wollte. 13 lange Stunden dauerte es in Genf, bis US-Außenminister John Kerry und sein russischer Amtskollegen, Sergej Lawrow, zu einem Ergebnis kamen. Aber dem nicht genug. Kerry verbrachte nach der Marathonsitzung weitere fünf Stunden über sichere Leitungen mit Videokonferenzen, um sich den Deal von Offiziellen im Pentagon absegnen zu lassen.

Lawrow dachte schon, er könne nach Hause gehen und machte Witze über seinen amerikanischen Kollegen. Aber dann konnten die beiden Außenminister der Großmächte doch noch vor die Presse treten. Und was sie zu verkünden hatten, kann sich in der Tat sehen lassen.

Von Montag an sollen in ganz Syrien die Waffen ruhen. Alle Konfliktparteien müssen ihre Kriegsaktivitäten einstellen. Dazu gehört auch die syrische Luftwaffe, die keinerlei Angriffe auf die von der Opposition gehalten Gebiete fliegen darf. „Das war der Kernpunkte der getroffenen Übereinkunft”, gab Kerry bekannt. „Denn damit ist das Ende der Fassbomben und der rücksichtslosen Bombardierung zivilen Wohnvierteln gekommen.” Das Regime in Damaskus sei darüber informiert und würde sich an die Abmachungen halten, versicherte Lawrow.

Mit der einsetzenden Waffenruhe würden auch Hilfsgüter in das eingekesselte Aleppo und andere prekäre Rebellengebiete geliefert. Sollte die Waffen tatsächlich sieben Tage schweigen, werde die Militärkooperation zwischen Washington und dem Kreml beginnen. Gemeinsam will dann man Jagd auf die beidenTerrorgruppen, den Islamischen Staat (IS) und al-Qaida machen.

Russland und die USA machen Ernst

Feuerpause klingt natürlich gut in einem Konflikt, der innerhalb von fünf Jahren rund 400.000 Menschen das Leben kostete. Schon einige Male vorher hatte man vergeblich versucht einen Waffenstillstand zu erreichen. Kerry nahm in Genf sogar die Worte von „Frieden” und einer „Übergangsperiode in Syrien” in den Mund, die auf die neuen, amerikanisch-russischen Absprachen folgen könnten. Also warum sollte das ausgerechnet jetzt gelingen?

Beide Außenminister betonten, dass sie auf ihre Partner und Verbündeten in Syrien entschieden Einfluss nehmen wollten. Bisher sei das nicht gelungen, erklärte Lawrow, weil es eine tiefes Misstrauen und wenig Zuversicht gegeben hätte. Nun aber scheint plötzlich alles anders zu sein. Kerry und Lawrow sprachen von einem „Wendepunkt” in Syrien. Klar, wenn beide Großmächte an einem Strang ziehen – wer sollte sich da noch in den Weg stellen. „Russland verfügt über die Kapazitäten, das syrische Regime zu ernsthaften Verhandlungen zu bringen”, meinte Kerry. Und die USA verfügen über die Kapazitäten einen wichtigen Teil der Rebellen zum Mitspielen zu zwingen. Das Hohe Verhandlungskomitee der Opposition (HNC) hat bereits zugesichert, an neuen Friedensverhandlungen teilzunehmen, sollte die Feuerpause anhalten und die angekündigten Hilfsgüter tatsächlich an Ort und Stelle ankommen.

Russland und die USA scheinen jetzt Ernst zu machen und auf ihre jeweiligen Verbündeten wirklich Druck auszuüben. Trotzdem gaben sich Lawrow und Kerry öffentlich nicht zu optimistisch: „Das ist eine Gelegenheit und mehr nicht”, hieß es auf der Pressekonferenz. Man müsse abwarten, bis das in die Realität umgesetzt werde.

Seit Juli hatten Russland und Amerika bereits verhandelt, ohne nennenswerte Ergebnisse erzielt zu haben. Kaum einer der politischen Beobachter hatte noch mit einem ‘Deal’ gerechnet. Selbst Kerry zweifelte erst am Donnerstag, ob es denn überhaupt sinnvoll sei, nach Genf zu reisen und Lawrow zu treffen. Und nun kam doch der Durchbruch. Der Schlüssel dafür dürfte in der Kooperation gegen den Terrorismus in Syrien liegen. Der IS spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Sein Ende ist längst beschlossen und steht unmittelbar bevor.

Die gefährliche Nusra-Front

Als neues Ziel rückt die Nusra-Front in den Fokus. Das ist der al-Qaida-Ableger in Syrien. Im Juli hat er sich zwar in die „Front der Eroberer der Levante” umbenannt und offiziell vom internationalen Netzwerk losgesagt. Aber für die USA und Russland machte das nicht den geringsten Unterschied. „Sie sind ideologisch immer noch dieselben”, behauptete Yosef, ein syrischer Aktivist und Anhänger der Revolution, wie er sich selbst bezeichnet. „Sie waren und bleiben Dschihadisten.”

Sollte die anvisierte Feuerpause tatsächlich sieben Tage halten, wollen die Großmächte al-Qaida gemeinsam angreifen. Dass das eine Konzession an Russland gewesen sei, wies Kerry strikt von sich. „Gegen die Nusra-Front vorzugehen, ist hochgradig im Interesse der Vereinigten Staaten”, rechtfertigte sich der US-Außenminister in Genf. Al-Qaida plane nämlich in Syrien und im Ausland, darunter auch in den USA, Terroranschläge. In Wahrheit ist das nur ein vorgeschobener Grund. Denn die Nusra-Front ist derzeit eine islamistisch-nationalistisch ausgeprägte Organisation, die zumindest mittelfristig keine Attentate im Ausland vorhat. Vielmehr will Kerry und auch Lawrow mit dem Kampf gegen die Nusra-Front die Ausweitung und Machtusurpation der Islamisten in Syrien verhindern.

Die Nusra-Front genießt als militärisch stärkste Rebellenfraktion große Popularität. Sie gilt als einzige Kraft, die der syrischen Armee wirklich Paroli bieten kann. Erst im August wurde unter ihrer Führung der Belagerungsring Aleppos durchbrochen. Mit der Namensänderung und der Lossagung von al-Qaida versuchte sich die Nusra-Front für andere Rebellengruppen zu öffnen. Seit Wochen ist von einem neuen, übergreifendem Militärbündnis der Opposition die Rede. Selbst die als moderat geltende Freie Syrische Armee (FSA) erwägt dieser Allianz beizutreten. Einige ihrer Gruppen kämpfen bereits seit Monaten, zusammen mit der Nusra-Front, gegen das Assad-Regime.

Die syrische Revolution würde ent-islamisiert

Die USA und Russland wollen mit ihrem angekündigten Kampf gegen al-Qaida die Spreu vom Weizen trennen. „Wenn Gruppen innerhalb der Opposition ihre legitime Rolle beibehalten wollen,”, erklärte US-Außenminister Kerry, „dann müssen sie sich mit allen erdenklichen Mitteln von der Nusra-Front und auch dem IS distanzieren.” Eine klarere Ansage gibt es nicht. Sollten sich die betreffenden Rebellengruppen nicht von den Islamisten abwenden, dann stehen sie ebenfalls ins Fadenkreuz der Luftangriffe der USA und Russlands.

Alle Fraktionen der Aufständischen müssen nun Farbe bekennen. Sich moderat nennen und mit der Nusra-Front gemeinsame Sache machen, das geht nicht mehr. Die radikalen Islamisten sollen völlig isoliert und ausgelöscht werden. Sollte das gelingen, wäre das ein gelungener Schachzug. Die syrische Revolution würde ent-islamisiert und könnte zu ihren Wurzeln zurückkehren. Zu den Anfangstagen, als 2011 Freiheit und Demokratie auf den Straßen gefordert worden war. Das Emirat, die Scharia und das islamistische Staatsprojekt insgesamt wären out.

http://www.welt.de/politik/ausland/article158041009/Russland-und-USA-ziehen-gemeinsam-in-den-Terrorkampf.html