Der Börsenwert der Credit Suisse schmilzt wie Schnee an der Sonne. Langsam wird es Zeit, mit operativ besseren Ergebnissen den Glauben an den Erfolg zu stärken.
Am Mittwoch haben die Aktien der Credit Suisse (CS) die Marke von 10 Fr. nach unten durchbrochen. Nach einem vorübergehenden Tiefststand von Fr. 9.75 gingen die Titel bei Fr. 9.91 aus dem Markt. Damit ist die Grossbank an der Börse nur noch gut 20 Mrd. Fr. wert. Zum Vergleich: Zuletzt lag die Börsenkapitalisierung des Schwergewichts Nestlé bei 234 Mrd. Fr. Noch mehr zu denken als der Kurseinbruch gibt der Umstand, dass der Börsenwert der CS auf knapp die Hälfte des Buchwerts zurückgefallen ist. Offenbar glaubt der Markt, dass die Bank in den Büchern ihre Aktiven zu hoch bewertet oder nicht in der Lage ist, ihre Kapitalkosten zu decken – oder beides zugleich. Dass andere Banken kursmässig mit ähnlich rasanten Talfahrten auffallen, ist ein schwacher Trost.
Zu lange Ruhepause
Das muss sich auch Tidjane Thiam denken, der am 1. Juli 2015 die operative Führung der CS übernommen hat. Was sich zunächst als weitere Etappe einer steilen Karriere ausnahm, entpuppt sich je länger, je mehr als Himmelfahrtskommando. Zwar haben sich Thiam und sein neu formiertes Führungsteam mit viel Elan daran gemacht, die Bank strategisch neu zu positionieren, mittelfristige Wachstumsziele zu formulieren und ihre Kapitaldecke zu stärken. Aber eine Reihe von Rückschlägen, das zusehends schwierigere wirtschaftliche Umfeld, die stabil tiefen Zinsen und nun die mit dem Brexit-Votum verbundenen Unsicherheiten werfen die Bank zurück.
Als ob die Führung einer global engagierten Bankengruppe wie der CS nicht schon unter «normalen» Bedingungen herausfordernd genug wäre, gilt es nun, parallel zum Tagesgeschäft den harzenden Umbau der Bank zu forcieren. Diese an die Substanz gehende Doppelbelastung hätte man sich ersparen können, wenn Verwaltungsrat und Management die Zeichen der Zeit früher erkannt hätten. Statt in den Jahren 2009 und 2010, als die CS noch über einen sehr grossen finanziellen und strategischen Spielraum verfügte, die Weichen in Richtung eines schlankeren, weniger kapitalintensiven, stärker auf das Vermögensverwaltungsgeschäft ausgerichteten Geschäftsmodells zu stellen, ruhte sich die CS-Spitze auf den Lorbeeren aus. Damit verlor die Bank zwei wertvolle Jahre, und auch danach fiel Brady Dougan, Investmentbanker und Thiams Vorgänger, eher durch Beharrungsvermögen als durch einen ausgeprägten Willen zur Veränderung auf.
Obsolete Wachstumsziele
Schon heute ist absehbar, dass unter den obwaltenden schwierigen Umständen die im vergangenen Oktober formulierten mittelfristigen Wachstumsziele kaum einzuhalten sein werden. Thiam und seine Führungsriege haben sich vorgenommen, bis Ende des Geschäftsjahres 2018 den gruppenweiten Gewinn vor Steuern auf 9 Mrd. bis 10 Mrd. Fr. zu steigern, was mit einer Eigenkapitalrendite von 14% einherginge. Im zurückliegenden Geschäftsjahr wies die Bank nach milliardenschweren Goodwill-Wertberichtigungen im vierten Quartal einen Vorsteuerverlust von 2,4 Mrd. Fr. aus, und auch in den Vorjahren lagen die operativen Ergebnisse weit hinter dem ins Auge gefassten ambitiösen Gewinnziel zurück. Analytiker gehen für 2018 eher von einem Vorsteuergewinn zwischen 5 Mrd. und 6 Mrd. Fr. aus, und dies selbst nachdem die Bank im März bekanntgegeben hat, die Verschlankung der kapitalintensiven Investment-Banking-Einheit Global Markets zu beschleunigen und die Sparbemühungen auf der Kostenseite zu verstärken. Bis 2018 soll die Kostenbasis neu auf 18 (i. V. 25) Mrd. Fr. zurückgeführt werden.
Bleibt das Gewinnwachstum unter den Erwartungen, dürfte die Diskussion über die Kapitalstärke der Bank wieder aufflackern. Dabei war es der Bank im vergangenen Dezember gelungen, die Kapitalbasis über eine Kapitalerhöhung um 6 Mrd. Fr. zu erhöhen und damit ein Problem zu lösen, das Dougans Führungsmannschaft lange Jahre vor sich hergeschoben hatte. Thiam stuft die gelungene Beschaffung neuer Mittel als seinen bisher grössten Erfolg ein und ist überzeugt davon, dass die CS ohne diese Kapitalzufuhr stark geschwächt aus den Marktturbulenzen im «schwarzen» vierten Quartal hervorgegangen wäre und die milliardenschweren Goodwill-Abschreibungen und Wertberichtigungen nur schwer verkraftet hätte.
Vorderhand hält sich die Bank im Quervergleich mit einer gewichteten Kernkapitalquote (CET1) von 11,4% und einer ungewichteten Quote (CET1 leverage ratio) von 3,3% noch recht gut. Aber es bleiben einige Unbekannte. Neben den schwer abschätzbaren Risiken auf der Ertragsseite sind es vor allem immer noch offene Rechtsfälle, die es kapitalmässig zu absorbieren gilt. Insgesamt rechnen Analytiker bis 2018 mit einem zusätzlichen Kapitalbedarf von rund 5 Mrd. Fr. Nicht berücksichtigt in dieser Summe ist unter anderem der Erlös aus dem geplanten Börsengang der Schweizer Universalbank.
Dringend benötigter Auftrieb
Zwar ist es noch zu früh, um zuverlässig Bilanz zu ziehen. Fest steht jedoch, dass der von Thiam angepackte Totalumbau der CS schwieriger zu bewerkstelligen ist als erwartet – auch weil er unter anspruchsvollen Rahmenbedingungen vorangetrieben werden muss. Die Bank wäre mit etwas mehr Weitsicht in den zurückliegenden Jahren von vielen Problemen verschont geblieben. Unabhängig davon sind es am ehesten gute Ergebnisse, die den Glauben an den Erfolg zurückbringen können. Nach den vielen Enttäuschungen gäbe der Bank ein gutes Ergebnis für das zweite Quartal dringend benötigten Auftrieb.
http://www.nzz.ch/wirtschaft/ein-jahr-unter-neuer-fuehrung-die-credit-suisse-braucht-einen-erfolg-ld.104329