Der Anschlag auf den Istanbuler Atatürk-Flughafen wirft die Tourismusbranche abermals zurück. Nach der Aussöhnung mit Russland und Israel gab es berechtigte Hoffnungen auf eine Erholung.

Der türkische Fremdenverkehr vermeldet seit Monaten dramatische Einbussen. Im Mai brachen die Besucherzahlen so stark ein wie seit 22 Jahren nicht mehr. Russische Touristen bleiben aus, seit das türkische Militär im November 2015 ein Kampfflugzeug im Grenzgebiet abschoss. Erholungsuchende aus westlichen Ländern nimmt die nicht abebbende Serie von Terroranschlägen die Lust auf Strandferien, und in den kurdischen Gebieten bekriegen sich die türkische Armee und Extremisten der PKK. In den ersten fünf Monaten 2016 reisten 8,3 Millionen Ausländer in die Türkei – rund ein Fünftel weniger als in der entsprechenden Vorjahresperiode. Ökonomen prognostizieren für das laufende Jahr Mindereinnahmen von 8 Milliarden Dollar. Allein an der Ägäisküste sollen Hunderte Hotels zum Verkauf stehen.

Hub und Touristenmagnet

Ein Silberstreifen für den Wirtschaftszweig, der jährlich Einnahmen von über 30 Milliarden Dollar generiert und damit rund 5 Prozent des Bruttoinlandprodukts, zeichnete sich erst dieser Tage ab. Ökonomisch am bedeutendsten ist die Aussöhnung mit Russland, dem nach Deutschland wichtigsten Herkunftsland. Als Vergeltung für den Abschuss der russischen Kampfmaschine hatte Moskau seinen Touroperatoren untersagt, Reisen in die Türkei zu verkaufen. In der Folge brachen die Besucherzahlen um bis zu 90 Prozent ein.

Dass die Russen angesichts der Terrorgefahr wieder in Scharen an die türkische Riviera zurückkehren, muss hingegen bezweifelt werden. Ebenso fraglich ist, ob die erhoffte Friedensdividende in den Wirtschaftsbeziehungen mit Israel anfällt. Nach sechs Jahren Eiszeit beschlossen die beiden Länder am vergangenen Wochenende eine Normalisierung ihrer Beziehungen. Der Verband türkischer Reiseveranstalter (Türsab) malte sich bereits einen fulminanten Zuwachs israelischer Gäste aus. Nun dürften die schrecklichen Bilder vom Atatürk-Flughafen – mit 61 Millionen Passagieren pro Jahr einer der frequenzstärksten Flughäfen Europas – viele von einer Reise abhalten.

Zwar wurden in dem traditionellen Ferienland bereits im Herbst 2015 mehrere schwere Anschläge verübt, doch blieben Touristen verschont. Zudem ereigneten sich die Gewalttaten in Regionen, die Ausländer selten aufsuchen. Das änderte sich im Januar 2016, als sich ein mutmasslicher IS-Terrorist auf dem Sultanahmet-Platz, im historischen Zentrum Istanbuls, in die Luft sprengte und zehn deutsche Touristen tötete.

Ausländische Gäste im Visier

Kurz vor Ostern schlug dann ein Selbstmordattentäter in der beliebtesten Einkaufsstrasse der türkischen Metropole zu. Wieder traf es zahlreiche Touristen, worauf zahlreiche Regierungen ihre Reisewarnungen verschärften.

Die Stadt am Bosporus lockte 2015 rund 13 Millionen ausländische Gäste an und damit mehr als New York. Unter den europäischen Destinationen folgte Istanbul hinter London und Paris. Der Tourismussektor, der rund die Hälfte des türkischen Leistungsbilanzdefizits finanziert, will künftig stärker diversifizieren und neue Märkte in Asien erschliessen. Der Anteil europäischer Gäste beträgt derzeit 45 Prozent.

http://www.nzz.ch/international/europa/der-tuerkische-fremdenverkehr-im-krebsgang-verpasste-friedensdividende-ld.102979