Zwischen zwei und fünf Uhr morgens tötet Omar Mateen in Orlando 49 Personen. Die Überlebenden und die Hinterbliebenen beschreiben drei Stunden voller Schrecken.

Kimberly Morris arbeitet als Türsteherin des Klubs «Pulse» in Orlando, als Omar Mateen um 2.02 Uhr in der Früh das Feuer eröffnet. Die 37-Jährige ist erst vor zwei Monaten von Hawaii nach Florida gezogen und hat vor kurzem mit der Arbeit im «Pulse» begonnen. Früher trat sie in Klubs an der Ostküste als Drag Queen auf und findet in der Homosexuellenszene in Orlando eine neue Heimat. Auch wenn viele der Details noch unklar sind, dürfte sie eines der ersten Opfer von Mateen gewesen sein.

Feuergefecht mit Polizist ausser Dienst

Das Bild der drei Stunden zwischen 2 und 5 Uhr früh, die für die Klubbesucher zur Hölle werden, ist erst in Konturen erkennbar. Laut der Polizei von Orlando wird der Täter zunächst durch einen Polizisten ausser Dienst aufgehalten, der ihn vor dem Klub in ein Feuergefecht verwickelt. Zwei weitere Beamte eilen herbei, und Mateen zieht sich in den Klub zurück. Die Polizisten halten sich nun zurück, fordern Verstärkung an. Sie wollen die Menschen im Inneren des Clubs nicht gefährden, die der Täter inzwischen als Geisel genommen hat. Bald stehen 100 Beamte vor der Disco, unter ihnen auch schwerbewaffnete SWAT-Sondereinheiten.

Pausenlos geschossen

Der «Pulse» ist in dieser warmen Sommernacht praktisch voll. Auf den beiden Dancefloors und der Terrasse läuft laute Musik, es ist «Latin Flavor»–Abend. Als die ersten Schüsse fallen, verstehen viele gar nicht, was passiert. Ein Klubbesucher, Christopher Hansen, erklärt später gegenüber der BBC, er habe zuerst gedacht, die Schüsse seien Teil eines Songs. Dann habe die Musik abrupt aufgehört, und die Schüsse seien scheinbar von überall gekommen. «Es muss mehr als eine Person gewesen sein, es wurde pausenlos geschossen», ist er noch Stunden später überzeugt. Wie die Polizei später mitteilt, war Omar Mateen mit einer Handfeuerwaffe sowie einem Sturmgewehr des Typs AR-15 bewaffnet, das sich sehr schnell nachladen lässt. Zwei, drei Minuten lang schiesst er damit auf die mehr als 300 Feiernden im Schwulen- und Lesbenklub ein.

Irgendwie ins Freie gelangen

Panik bricht aus, die Besucher versuchen, irgendwie ins Freie zu gelangen. Shawn Royster ist gerade dabei, von der Terrasse ins Innere zurückzukehren, als er die Schüsse hört – «pop, pop, pop», wie er dem Fernsehsender CBS schildert. Danach rennt er hinaus, klettert über einen Zaun und versteckt sich stundenlang unter einem Auto. Besucher im Klub werden von der Masse mitgerissen, einige verhalten sich rücksichtslos, rennen über Menschen, die am Boden liegen.Andere opfern sich, wie Stanley Almodovar III, ein 23-jähriger angehender Apotheker. Er stösst seine Freundin aus dem Weg, als die Kugeln in ihre Richtung fliegen. Er wird dreimal getroffen, in die Brust, den Bauch und die Seite. Später stirbt er im Spital.

Opfer schreibt vor dem Tod SMS

Im Klub breitet sich inzwischen eine gespenstische Stille aus. Dutzende von Toten liegen am Boden, viele Menschen sind verletzt. Einige verstecken sich unter Leichen und überleben so, andere sitzen im verwinkelten Klub in der Falle. Was Mateen in dieser Zeit tut, ist bisher nur teilweise klar. Um 2.22 Uhr ruft er die Notrufnummer an und erklärt der Terrormiliz IS seine Treue. Er erwähnt die Attentäter von Boston. Offenbar durchsucht er auch den Klub nach Überlebenden, tötet weitere Menschen. Eddie Jamoldroy Justice schreibt seiner Mutter, er sitze in der Toilette und könne nicht raus. Um 2.39 Uhrerhält sie sein letztes SMS: «Er kommt. Ich werde sterben». Justice wird als neuntes Opfer von der Polizei identifiziert.

Die Sicherheitskräfte wissen weiterhin nur lückenhaft über die Lage im Klub Bescheid, verhandeln fast drei Stunden mit dem Täter. Erst kurz vor 5 Uhr früh entscheiden sie sich dafür, «Pulse» zu stürmen. Schwerbewaffnete Sondereinheiten brechen durch eine Wand und erschiessen beim Sturm auch Omar Mateen. Sie befreien die 30 Überlebenden, die noch im Klub festsitzen. Für die 49 anderen kommt jede Hilfe zu spät.

http://www.nzz.ch/international/terror-in-orlando/die-tatnacht-im-pulse-in-orlando-wenn-die-party-zur-hoelle-wird-ld.88592