Die Abschottungspolitik Ungarns funktioniert kaum noch. Entlang der Balkanroute reisen wieder Hunderte von Migranten. Die Uno beklagt die desolate humanitäre Lage im serbisch-ungarischen Grenzgebiet.

Auch wenn sich der Fokus des öffentlichen Interesses seit Schliessung der Grenze in Mazedonien und dem Türkei-Abkommen wieder auf das zentrale Mittelmeer verlagert hat, sind die Flüchtlingszahlen entlang der Balkanroute jüngst wieder stark angestiegen. In Ungarn hatte die Regierung von Ministerpräsident Orban nach der Durchreise Zehntausender Migranten die Grenze zu Serbien und Kroatien mit einem Zaun absperren lassen und das Asylrecht verschärft. Darauf versiegte der Zustrom fast ganz, im Winter wurden täglich nur noch vereinzelte Grenzübertritte registriert.

Verlagerung der Route

Allerdings funktionierte die Abschottung nur, solange es mit der offenen Route über Kroatien und Slowenien eine Alternative gab. Seit diese praktisch unpassierbar ist, sind die Zahlen in Ungarn trotz Zaun sprunghaft angestiegen. Im laufenden Jahr wurden bis Ende Mai über 13 000 illegale Grenzübertritte registriert, im gleichen Zeitraum wurden 17 500 Asylgesuche gestellt. Laut dem Sprecher der ungarischen Regierung, Zoltan Kovacs, gelangen immer noch weit über 90 Prozent der Migranten über Serbien nach Ungarn. Eine Verlagerung der Route etwa über Bulgarien und Rumänien sei nicht zu beobachten, erklärte er vor Journalisten in Wien. Ein Grund ist laut Kovacs neben sehr aktiven Schleppern, dass die serbischen Behörden weiterhin organisierte Transporte an die Grenze zulassen. Budapest sei diesbezüglich im Gespräch mit Belgrad.

Rund 5000 Asylgesuche wurden auch in den Transitzonen an den legalen Grenzübergängen in Röszke und Tompa gestellt. Das Uno-Flüchtlingshilfswerk UNHCR beklagt jedoch, dass die ungarischen Behörden auf diesem Weg täglich nur rund 30 Asylsuchende einreisen liessen. Es kommt deshalb zu einem Rückstau vor der Transitzone im serbischen Grenzgebiet, wo Hunderte von Migranten ohne geeignete Unterkünfte und sanitäre Einrichtungen warten. Die Lage verschlimmere sich täglich, und sie mache es Schleppern leicht, Interessenten für gefährliche Wege über die grüne Grenze zu finden, so das UNHCR. Seitens der ungarischen Regierung heisst es, die Anhörung und Kontrolle der Asylsuchenden mache den schleppenden Einlass erforderlich. Vorwürfe, es würden Personen einfach zurückgewiesen (vgl. Kasten), entbehrten der Grundlage.

Reise über Österreich

Aufgrund der seit Mitte September geltenden Gesetzesverschärfung, die auch Serbien als sicheres Drittland einstuft, wird Asylanträgen in Ungarn in der Regel nicht stattgegeben. Nach einem negativen Bescheid kommen die Migranten in Ausschaffungshaft, die allerdings auf höchstens sechs Monate verlängert werden darf. Auch die Verurteilung zu Landesverweis, die wegen illegalen Grenzübertritts in umstrittenen Schnellverfahren in Szeged erfolgt, hat eine auf höchstens ein Jahr befristete Ausschaffungshaft zur Folge. Gelingt die Überstellung an ein anderes Land nicht, was häufig der Fall ist, werden die Migranten früher oder später freigelassen oder können untertauchen.

Reger Betrieb auf der geschlossenen Balkanroute

ahn. Belgrad ⋅ Auf der Balkanroute herrscht weniger Betrieb als im letzten Sommer, denn der Weg ist teurer und gefährlicher geworden. Dennoch benutzen sie wieder viele Flüchtlinge. Vor zehn Tagen ertrank ein 22-jähriger Syrer beim Versuch, über die Theiss nach Ungarn zu gelangen. Augenzeugen berichten, er sei von ungarischen Grenzern zurückgetrieben worden. Das UNHCR verlangt eine Untersuchung. Auch in Belgrad kommen täglich 300 Personen neu an. Den Bau einer Zeltstadt verhindern die Behörden; sie bringen die Flüchtlinge in ein Heim ausserhalb der Stadt. Viele kommen privat unter. Auch Imbisse, die sich auf Halal-Essen spezialisiert haben, machen wieder Geschäfte. Vor allem aber profitieren die Schlepper von den geschlossenen Grenzen. Laut dem mazedonischen Fernsehen haben sich ihre Preise fast verdoppelt. Die Ausweichroute via Albanien wird hingegen wenig benutzt. Flüchtlinge, die via Bulgarien reisen, beklagen die Behandlung durch Behörden und Bevölkerung. Die hetzerische, oft islamophobe Berichterstattung der dortigen Medien hat zur Bildung von «Bürgerwehren» geführt, die sich auf Flüchtlingsjagd begeben und die gefesselte «Beute» in den sozialen Netzwerken präsentieren.

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Viele reisen nach Österreich weiter, wo laut Behördenangaben täglich rund 150 Personen aufgegriffen werden, die über Ungarn ins Land kamen. Im Bemühen, die Obergrenze von 37 500 Flüchtlingen einzuhalten, will Wien wieder Dublin-Fälle nach Ungarn zurückschaffen, wie Innenminister Sobotka letzte Woche ankündigte. In den vergangenen Monaten war darauf infolge eines Gerichtsurteils verzichtet worden. Am Donnerstag erteilte Budapest diesen Plänen beim Besuch des österreichischen Verteidigungsministers Doskozil eine klare Absage. Kovacs hatte dies bereits zuvor in Wien damit begründet, dass Deutschland und Österreich den Flüchtlingsstrom durch ihre Willkommenskultur ausgelöst hätten. Es seien rund 50 000 Asylsuchende in Deutschland und Österreich, die Ungarn aufnehmen müsste. Das sei unmöglich.

http://www.nzz.ch/international/europa/absage-an-deutschland-und-oesterreich-ungarn-nimmt-keine-fluechtlinge-zurueck-ld.87897