Präsident Erdogan dominiert die Türkei wie nie. Kritik aus dem Ausland – egal. Doch sein Auftreten als Hasardeur beschwört neue Gefahren für sein Land. Gefahren, die viele Menschen abschrecken.

Die Weltgeschichte ist reich an großen Herrschern, die ihre Reiche und Nationen in ihrer Selbstgefälligkeit und Ignoranz beschädigt oder gar ruiniert haben. In der Türkei schwingt sich gerade Recep Tayyip Erdogan zum alleinigen Großherrscher auf. Ohne den Präsidenten geht nichts mehr.

Doch die neue Dominanz birgt Gefahren. Erdogans unnachgiebige Art und Politik scheinen ein Nährboden für den Terror zu sein und tun dem Außenbild der Türkei nicht gut. Das bekommt das Land schon jetzt zu spüren. Denn die Zahl der Gäste sinkt dramatisch. Die aktuelle Tourismus-Statistik ist Zeugnis der internationalen Ablehnung. Im April kamen nur noch 1,75 Millionen Besucher ins Land, 28 Prozent weniger Besucher als noch vor einem Jahr, und sogar ein Drittel weniger als im April 2014. Es war der neunte Monat in Folge mit rückläufigen Zahlen und gleichzeitig der stärkste Einbruch seit Beginn der Statistik.

Die Deutschen waren für den größten Einbruch verantwortlich. Im April verbrachten noch lediglich 246.000 Bundesbürger ihre Ferien in der Türkei, das waren 135.000 weniger als noch im Vorjahr. Aber auch die Abstinenz der Russen hat historische Dimensionen erreicht. Im März dieses Jahres kamen nur noch gut 31.000 Besucher – im Vergleich zum Vorjahr ein Rückgang um 79 Prozent. Es könnte das schlechteste Jahr seit der Russland-Krise zur Jahrtausendwende werden.

Im Jahr 2000 hatten lediglich knapp 700.000 Russen die Türkei besucht. 2014 waren der bisherige Höhepunkt mit knapp 4,5 Millionen. Immerhin konnte das Land ein Teil des Minus mit Touristen aus Georgien oder der Ukraine ausgleichen. Allerdings dürfte dies mit deutlichen preislichen Zugeständnissen erreicht worden sein. Insbesondere die Deutschen, aber auch die Russen gelten als besonders zahlungskräftig und ausgabenfreudig.

Nach dem Abschuss eines russischen Kampfjets durch die türkische Armee im Grenzgebiet zu Syrien Ende November hatte der Kreml umgehend Sanktionen gegen die Türkei verhängt. Zuerst gab das Außenministerium eine Reisewarnung aus. Kurz darauf durften russische Reisebüros keine Touren mehr in die Türkei anbieten.

Zudem wurden Charterflüge an die türkische Mittelmeerküste gestrichen. Die Türkei-Lust der Deutschen ist vor allem wegen der nach wie vor angespannten Sicherheitslage so gering wie lange nicht. „Landesweit ist weiter mit politischen Spannungen sowie gewaltsamen Auseinandersetzungen und terroristischen Anschlägen zu rechnen”, heißt es im aktuellen Reisehinweis des Auswärtigen Amtes.

Seit Jahresanfang summiert sich das Minus ausländischer Türkei-Touristen auf knapp 700.000. Jetzt beginnt in der Türkei die Hochsaison, jedes Minus schmerzt ganz besonders. Der touristische Statistikdienst turizmdatabank.com rechnet im schlechtesten Fall damit, dass 7,6 Millionen weniger Gäste in diesem Jahr ins Land kommen. Für die Tourismusbranche würden die finanziellen Einbußen dann rund 8,9 Milliarden Dollar betragen. Selbst nach einer optimistischen Prognose gingen die Touristenzahlen um 5,3 Millionen zurück. Das finanzielle Minus würde dann jedoch immer noch 6,2 Milliarden Dollar betragen.

Der Tourismus ist nach wie vor eine wichtige Einnahmequelle. Er macht zwar lediglich sechs Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus. Allerdings stellt er Jobs für mehr als acht Prozent der Türken und – fast noch wichtiger – ist ein wichtiger Devisenbringer für das Land. Die Türkei ist wegen ihrer Abhängigkeit von ausländischem Kapital verwundbar, schreibt die Ratingagentur Moody’s in einer Analyse. Denn noch immer importiert das Land deutlich mehr, als es exportiert.

Devisenreserven um zwölf Milliarden Dollar gesunken

Zwar ist das Leistungsbilanzdefizit in den vergangenen Jahren leicht gefallen, weil das Land weniger für seine Öl-Einfuhren zahlen muss. Doch Moody’s ist trotzdem alarmiert. „Der Finanzbedarf in den kommenden beiden Jahren beträgt rund 27 Prozent der Wirtschaftsleistung.

Das ist das höchste Level unter allen großen Schwellenländern, die wir analysieren”, schreibt die Ratingagentur. Großen finanziellen Spielraum hat Erdogan nicht. Die Devisenreserven des Landes sind im vergangenen Jahr um knapp zwölf Milliarden Dollar abgeschmolzen.

Noch ist das totale touristische Fiasko abwendbar, meinen zumindest die deutschen Reiseveranstalter. Sie hoffen auf den sogenannten Spätbucher-Effekt. „Wer in den Sommerferien noch weg will, findet noch eine große Auswahl an Zielen und Hotels in der Türkei”, sagt Torsten Schäfer von Deutschen Reiseverband (DRV).

Für Spanien, Portugal oder Griechenland seien Flüge und Hotels bereits sehr gut gebucht – teils sogar ausgebucht. „Die allermeisten Hotels in Südeuropa sind schlichtweg voll. Von dieser Situation könnte die Türkei vielleicht noch durch die Spätbucher profitieren, so dass der Gästeeinbruch nicht so stark ausfällt wie es sich am Jahresanfang abzeichnete.”

http://www.welt.de/wirtschaft/article155821408/Wie-der-Erdogan-Faktor-die-Deutschen-vertreibt.html