Die Kanzlerin reist durch die Welt, heute ist sie in Verdun. Nach der Flüchtlingskrise will sie zurück in ihren alten Modus. Seehofer aber hält sie in den Niederungen – was seine Partei beunruhigt.
Entgegen anderslautender Behauptungen ist Angela Merkel in der Flüchtlingskrise am Boden geblieben. Sie flog kaum noch ins Ausland. Als die Lage nach der Grenzöffnung im September zeitweise außer Kontrolle geriet, erging im Kanzleramt die Anweisung: Reiseplanung einstellen – Kurztrips nach Brüssel zur EU und zum Deal-Partner Türkei zählen mittlerweile als Innenpolitik. Aber in der Abteilung II, zuständig für Außenpolitik, stapeln sich die Anfragen von Ländern, die gerne durch einen Besuch Merkels aufgewertet werden würden. Um jeden Preis wollte sie den Eindruck vermeiden, sie fliehe vor den Problemen zu Hause.
Doch jetzt, da kaum noch Flüchtlinge nach Deutschland kommen, schaltet Merkel wieder in den Flugmodus: In dieser Woche traf sie die Führer der westlichen Welt auf dem G-7-Gipfel in Japan, an diesem Sonntag gedenkt sie des Ersten Weltkriegs im französischen Verdun, in zwei Wochen geht es nach China. Merkel, die Weltstaatsfrau, ist wieder da und soll die arg gerupfte Flüchtlingskanzlerin rechtzeitig vor der Bundestagswahl vergessen machen. „Frischen Wind um die Nase wehen lassen”, sagt Angela Merkel selbst über den Sinn ihrer Auslandsbesuche. Da Deutschland im kommenden Jahr den G-20-Gipfel in Hamburg ausrichtet, bieten sich dafür im Wahljahr unbegrenzte Möglichkeiten: Als Gastgeberin kann Merkel theoretisch jedes Teilnehmerland vorab besuchen. So ist es Usus.
Nur einer wartet immer noch vergeblich auf die genaue Zeit und den Ort für ein Treffen: Horst Seehofer. Der CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident ist fest entschlossen, Merkel nach dem aus seiner Sicht desaströsen letzten halben Jahr nicht in die Weltpolitik verschwinden zu lassen. Er besteht auf Aufarbeitung, die Merkel partout nicht liefern möchte. Das Ringen von CDU und CSU um diese Frage nimmt mittlerweile groteske Züge an. Es offenbart auch, wie sehr der Zwist zwischen den Chefs die Parteien mitgenommen hat.
Es scheitert inzwischen schon an den gemeinsamen Worten. Um Ostern herum mühten sich die beiden Generalsekretäre Peter Tauber (CDU) und Andreas Scheuer (CSU) in mehreren Telefonaten, eine einheitliche Sprachregelung für die Lage zu finden. Vergeblich. Sie sollte dann auf einer Klausurtagung der Führungsgremien im Juni gefunden werden. Doch nicht nur die inhaltliche Annäherung ist ferner denn je. Die Generäle scheiterten sogar daran, sich auf Tag und Ort für das avisierte Treffen zu verständigen.
Verständigungsprobleme haben Konjunktur
Der Konflikt zwischen den Chefs hat sich mittlerweile auf ihre unmittelbaren Gehilfen übertragen. Aus Münchner Sicht ist das Adenauerhaus zu einem Ort mutiert, an dem die Realität ausgeblendet wird: erst die der Flüchtlingskrise, dann die der Niederlagen der CDU bei den Landtagswahlen im März. In der CSU-Führung raunt man sich zu, dass in Taubers Reich die Angestellten einer Etage nicht mehr mit jenen auf einer anderen reden würden. Verständigungsprobleme haben überall Konjunktur. Jedenfalls übernahmen am Ende Merkel und Seehofer selbst den Versuch, einen Ort für das nun am 24. Juni geplante Treffen abzustimmen – ohne sich bisher auf einen zu einigen.
Die Bundestagsabgeordneten sind des Streits zwischen Merkel und Seehofermüde. Teilnehmer der jüngsten Fraktionssitzungen von CDU und CSU berichten, dass das, was die Chefs bewegt – die Flüchtlingspolitik und die Vereinbarung mit der Türkei – dort seit Wochen kaum noch eine Rolle spiele. „Gespenstisch” fasst ein CSU-Politiker die Stimmung in den Sitzungen zusammen. Er erzählt, dass selbst die ehemals aufmüpfigen Kollegen heute verstummt seien.
Einstmals bildete die CSU selbst lange eine geschlossene Front hinter ihrem Chef gegen Merkels Flüchtlingspolitik. Mit dem Rückgang der Flüchtlingszahlen jedoch schwindet das Verständnis für die fortdauernde Auseinandersetzung und das ständige Sticheln. Man fragt sich sorgenvoll, ob die beiden in ihrem Streit inzwischen nicht so festgefahren sind, dass er sich verselbständigen könnte. „Ich habe den Eindruck, dass das persönliche Verhältnis wirklich abgekühlt, ja ein Stück weit zerrüttet ist”, sagt ein namhaftes Mitglied der CSU-Landesgruppe in Berlin. „Das ist keine Polit-Show mehr. Eine Narbe wird in jedem Fall bleiben.” Es bestehe zudem die Gefahr, dass sich diese Auseinandersetzung fortsetze, selbst dann, wenn es nicht mehr um die Flüchtlingspolitik gehe. Was man in der Asylpolitik erreicht habe, sei ohnehin im Gefecht der beiden Chefs untergegangen.
Nicht nur die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe, Gerda Hasselfeldt, ist von dem Hickhack genervt, die Mehrheit der 56 Abgeordneten ist es auch. Sie schütteln den Kopf über Seehofers Drohung, getrennt in den Wahlkampf zu gehen, und stöhnen darüber, dass Finanzminister Markus Söder diese Möglichkeit am Wochenende erneut unterstrich.
Seehofers Signale
Die wieder aufgenommene Reisetätigkeit der Bundeskanzlerin dürfte den Konflikt noch verstärken. Weil sie die unterschiedliche Themensetzung der Parteichefs und damit weitere Konflikte offenlegen wird. Gleichgültig ob Merkel in Japan bei G 7 mit dem neuen kanadischen Ministerpräsidenten Justin Trudeau über Integration redet, mit dem Präsidenten des Tschad, Idriss Déby über Mobiltelefone in Afrika oder mit dem Generalsekretär der chinesischen Kommunisten, Xi Jinping über Demographie: Überall bekommt sie den Eindruck vermittelt, dass sich Deutschland verdammt anstrengen müsse, die digitale Moderne nicht zu verpassen.
Seehofer hingegen will Signale senden, die auch Bürger verstehen, deren Traumland eine Bundesrepublik mit nur zwei Fernsehkanälen bleibt, die mit dem Internet vor allem Angst um ihre Daten verbinden und sich darüber ärgern, dass Flüchtlinge Smartphones besitzen. Nicht zufällig hat Seehofer der Republik im Alleingang eine Rentendebatte aufgezwungen. Rente – das klingt nach alter BRD, als die Globalisierung noch eine Prophezeiung war.
So geht die Lage-Analyse von Merkel und Seehofer immer weiter auseinander. Der Bayer nimmt für seine CSU in Anspruch, als letzte Volkspartei überhaupt noch zu merken, was die Bürger bewegt. Merkel hält Andersdenkende hingegen für schlecht informiert. Die CDU-Spitzengremien sind schon lange zu Seminaren geworden, in denen entweder sie oder ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble die Weltlage erklärt.
Selbst im EU-Rat, wo sich 28 Staats- und Regierungschefs treffen, referiert Merkel über die Vorherrschaft amerikanischer Internetkonzerne und chinesische Hochtechnologie. „Angelas Volkshochschule” spottete der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán darüber. Sein Kumpel Horst Seehofer fand das gar nicht witzig.
http://www.welt.de/politik/deutschland/article155778543/Die-Weltstaatsfrau-und-die-Nervensaegen.html