Der Kanton spare nicht auf dem Buckel der Gemeinden, findet die Zürcher SP-Regierungsrätin Jacqueline Fehr.
Frau Fehr, als Vorsteherin der Direktion der Justiz und des Innern sind Sie sozusagen die Chefin der Gemeinden. Wie erleben Sie das Verhältnis?
Als sehr gut. Kanton und Gemeinden teilen sich als Partner Aufgaben, die für den Alltag der Bürgerinnen und Bürger von hoher Relevanz sind.
Von aussen wirkt das Verhältnis allerdings angespannt. Aus den Gemeinden wird schon fast reflexartig Kritik laut.
Nach aussen mag das so erscheinen, das ist allerdings auf allen Staatsebenen zu beobachten: Die Gemeinden kritisieren den Kanton, dieser kritisiert den Bund. Die Verhältnisse vor und hinter der Bühne sind jedoch nicht dieselben. In der Praxis pflegen wir einen entspannten Umgang mit den Gemeinden und arbeiten gut mit ihnen zusammen. Als Vertreter von Exekutivebenen wissen beide Partner, dass nicht immer alles so läuft, wie man es gerne hätte. Letztlich teilen wir die Erfahrung, dass es in der Politik nicht um Schuldzuweisungen geht, sondern um Verantwortung.
Im Sanierungspaket nimmt der Regierungsrat auch die Gemeinden in die Pflicht. Verlagern Sie den Steuerdruck so nicht einfach auf die untere Stufe?
Nein, das aktuelle Sanierungspaket belastet die Gemeinden weniger als alle anderen Sparprogramme davor. Der Regierungsrat hat jede Massnahme einzeln geprüft und sich die Frage nach der eigenen Verantwortung gestellt. Als Resultat haben die Gemeinden rund fünf Prozent der Einsparungen zu tragen. Wenn man bedenkt, dass ein grosser Teil des Sparpakets wegen der BVK-Sanierung nötig ist, von der auch die Gemeinden profitieren, fällt die Leistungsüberprüfung 16 sehr rücksichtsvoll aus.
Trotzdem: In etlichen Gemeinden drohen Steuerfusserhöhungen.
Dafür kann man nicht nur die Leistungsüberprüfung verantwortlich machen. Ausserdem erscheinen die Gemeinde- und die Kantonssteuern letztlich auf demselben Einzahlungsschein. Die Partnerschaft zwischen Kanton und Gemeinden hat ja auch den Zweck, dass Aufgaben dort erfüllt werden, wo dies am sinnvollsten, kostengünstigsten und effizientesten möglich ist.
Stark kritisiert wird, dass der Kanton ab 2019 im Finanzausgleich 50 Millionen sparen will. Wird jetzt bei reichen Zürichsee-Gemeinden stärker abgeschöpft?
Es gibt eine grosse Anzahl Stellschrauben, an denen man drehen kann, um 50 Millionen Franken einzusparen. Es gibt zum Beispiel die Möglichkeit, im Ressourcenausgleich zu sparen, indem finanzschwache Gemeinden weniger erhalten oder starke mehr zahlen. Auch kann man sich die Frage stellen, ob das System des Lastenausgleichs seinen Zweck noch erfüllt oder ob man es überarbeiten sollte. Grundsätzlich bekennen wir uns zum Finanzausgleich: Ausgleichsmechanismen sind in unserem Staatswesen wichtig. Sie werden wohl kantonal und national an Bedeutung gewinnen, da die Zentrumsregionen gegenüber peripheren Gebieten tendenziell stärker werden. Darüber, wie der innerkantonale Finanzausgleich im Detail aussehen wird, hat letztlich jedoch der Kantonsrat zu befinden. Der Regierungsrat wird seinen Vorschlag 2017 nach der Publikation des Wirksamkeitsberichts vorlegen.
Viele Städte bezweifeln, dass es Ihrer Direktion ernst damit ist, die Kosten der sozialen Wohlfahrt über einen neuen Soziallastenausgleich abzufedern.
Die Städte sollten die Flinte nicht zu früh ins Korn werfen. Am Gemeindeforum im November hat die Stadt Dietikon einen interessanten Ansatz ins Spiel gebracht: Die Raumplanung gibt vor, 80 Prozent des Wachstums im Kanton in den Zentren aufzufangen. Dietikon fordert jetzt, diese Vorgabe auch finanziell zu Ende zu denken. Wenn also in diesen Ballungsräumen höhere Kosten für Schulen und Soziales anfallen, sollen diese entsprechende Abgeltungen erhalten. Trotz einem Ausländeranteil von rund 60 Prozent in Schulen schafft es die Stadt Dietikon, für alle Schülerinnen und Schüler Anschlusslösungen nach der obligatorischen Schulzeit zu finden. Von solchen Leistungen profitiert der ganze Wirtschaftsraum. Sie müssen darum durch die weniger belasteten Gemeinden mitfinanziert werden.
Solche Aufgaben nicht mitzutragen, käme Zechprellerei gleich, sagten Sie einmal. Wie halten Sie es nun mit dem Bezahlen der Rechnung?
Die Finanzierung ist letztlich die zentrale Frage. Noch haben wir die Antwort nicht. In der Politik gibt es immer drei Phasen: Zuerst kommt es zu gegenseitigen Schuldzuweisungen, dann folgt die Analyse, und am Schluss kommt die Lösungsfindung. Die erste Phase haben wir hinter uns, nun sind wir dabei, eine Auslegeordnung zu erstellen.
Der Königsweg führt oft über Spezialgesetze, etwa im Kinder- und Jugendheimgesetz, wo eine Glättung der Belastungen erwirkt wurde. Analog wären auch Anpassungen bei den Ergänzungsleistungen und der Sozialhilfe denkbar, welche die Gemeinden entlasteten.
Je mehr Unterschiede wir über Spezialgesetze ausgleichen können, desto weniger muss ein wie auch immer gearteter Finanzausgleich leisten. Mit dem Kinder- und Jugendgesetz sind wir auf einem guten Weg. Spezialgesetze wirken auf jeden Fall präziser als die Umverteilung über den Finanzausgleich.
Das kostet aber auch: Jeder Prozentpunkt, der in Kostenschlüsseln zuungunsten des Kantons verschoben wird, kann in der Sozialhilfe oder den Ergänzungsleistungen in die Millionen gehen.
Das stimmt. Deshalb braucht es eine breite Debatte über mögliche Lösungen. In meiner Direktion denken wir zum Beispiel darüber nach, ob ein Teil der Aufgaben im Zusammenhang mit der Unternehmenssteuerreform III zu finanzieren wäre. Der Kanton wird voraussichtlich höhere Anteile an der direkten Bundessteuer erhalten, als Kompensation für tendenziell sinkende Unternehmenssteuererträge. Heute erhalten wir 17 Prozent der direkten Bundessteuer, neu sollen es 21 oder 22 Prozent sein. Ein Teil dieses zusätzlichen Geldes könnte zur Abfederung von Mehrbelastungen im Sozialbereich eingesetzt werden. Wir prüfen gegenwärtig, wie gross die Schnittmenge zwischen Gemeinden mit hohen Sozialkosten und Gemeinden mit mutmasslich hohen Ausfällen bei den Unternehmenssteuern ist. Je grösser die Schnittmenge, desto gezielter können wir über den beschriebenen Mechanismus ausgleichen.
Städte wie Zürich, Winterthur, Schlieren, Kloten oder Dietikon sollen also den Löwenanteil der zusätzlich von Bern nach Zürich fliessenden Mittel erhalten, wenn sie von den Auswirkungen der Unternehmenssteuerreform betroffen sind?
Genau. Aus der Helikopter-Perspektive erscheint eine solche Verknüpfung gerechtfertigt. Ob dem tatsächlich so ist, muss nun aber noch genauer geprüft werden.
Ist das Ihre Perspektive oder der Lösungsvorschlag der Regierung?
Ich habe die Regierung über meine Idee informiert. Der Regierungsrat will jedoch für Entscheide weiterhin den Wirksamkeitsbericht im nächsten Frühling abwarten. Das Gemeindeamt erarbeitet derzeit den Bericht und prüft auch die angesprochene Idee.
Droht nicht die Gefahr, dass mit solchen Ansätzen der Stadt-Land-Graben vertieft wird? Zürich zum Beispiel steht heute ja nicht schlecht da.
Die Stadt Zürich steht nicht im Vordergrund. Vom Problem der steigenden Soziallasten sind vor allem die Agglomerationsstädte betroffen. In diesen findet – raumplanerisch durchaus gewollt – das Hauptwachstum statt. Die Kernstadt Zürich hat natürlich hohe Lasten zu tragen, sie hat aber auch eine hohe Finanzkraft und eine ziemlich junge Bevölkerung. Deshalb zahlt sie ja auch einen namhaften Beitrag in den Ressourcenausgleich. Die ehemaligen Probleme der Kernstädte haben sich in die Agglomerationsstädte verlagert.
Gemeinsam mit den Gemeinden wollen Sie eine Strategie 2030 erarbeiten. Welche Themen haben Priorität?
Hauptsächlich geht es darum, den Blick nach vorne zu richten und eine gemeinsame Plattform zu schaffen. Prioritär ist für mich etwa das Thema Digitalisierung. Wie können die Gemeinden den sich ändernden Ansprüchen der Bevölkerung gerecht werden? Wie kann der Verkehr mit den Behörden unabhängig von Schalteröffnungszeiten gestaltet werden? Ich war kürzlich in Estland, das im Bereich der digitalen Verwaltung führend ist. Die Steuererklärungen sind dort so gut aufgearbeitet, dass das Ausfüllen nur wenige Minuten in Anspruch nimmt. Weitere Themen könnten zum Beispiel die überkommunale Planung in der Alterspflege sein oder die Frage, wie wir der Milizarbeit in den Behörden mehr Anerkennung geben können.
Die liberale Denkfabrik Avenir Suisse hat die Idee eines allgemeinen Bürgerdienstes statt der Wehrpflicht ins Spiel gebracht, um das Milizsystem zu stärken. Was halten Sie davon?
Möglicherweise überrascht es Sie, aber ich bin durchaus ein liberaler Mensch und halte Zwänge nicht für den richtigen Ansatz. Der Bürgersinn ist in der Schweiz nach wie vor sehr ausgeprägt. Mir geht es darum, dass wir die Leute nicht noch dafür bestrafen, wenn sie öffentliche Ämter übernehmen. Wenn jemand ein Schulpflegeamt übernimmt, statt eine Masterausbildung zu machen, gereicht ihm das heute zum Nachteil, obwohl diese Person vielleicht ebenso viele Kompetenzen erwirbt. Diese sollten besser anerkannt werden.
Gemeinden müssen auch sparen
asü. ⋅ Auf die Probe gestellt wird das Verhältnis zwischen Kanton und Gemeinden in der Umsetzung der Leistungsüberprüfung 2016 (Lü16). Mit dem im April angekündigten Sanierungspaket will der Regierungsrat den Finanzhaushalt des Kantons bis 2020 um 1,8 Milliarden Franken entlasten. Knapp 73 Millionen Franken oder 4,8 Prozent des Sparvolumens sollen die Gemeinden beitragen. Ab Juni werden Massnahmen aus dem Lü16-Paket im Kantonsrat behandelt.
Aus Sicht der Gemeinden stehen zwei Themen im Fokus. Erstens will der Kanton ab 2019 jährlich 50 Millionen Franken im innerkantonalen Finanzausgleich einsparen – finanzkräftige Gemeinden haben Widerstand dagegen angemeldet, stärker zur Kasse gebeten zu werden. Zweitens sollen Schulleiter künftig voll von den Gemeinden angestellt werden; heute übernimmt der Kanton 20 Prozent der Lohnkosten.
Jörg Kündig, FDP-Kantonsrat aus Gossau und Präsident des Gemeindepräsidentenverbands, wehrt sich gegen zusätzliche Belastungen. Das Sanierungspaket verstärke den Druck auf die Steuerfüsse der Gemeinden, kritisiert er. Vor allem die Einsparung im Finanzausgleich bereite Sorgen. Statt eines Abbaus sei die Schaffung eines Soziallastenausgleichs nötig.
http://www.nzz.ch/zuerich/jacqueline-fehr-ich-bin-ein-liberaler-mensch-und-halte-zwaenge-nicht-fuer-den-richtigen-ansatz-ld.83631