Als 20-Jähriger lauschte er im Sommer 1970 höchst vertraulichen Gesprächen zwischen seinem Vater und Bundesrat Pierre Graber: François A. Bernaths Erinnerungen bergen Zündstoff.
Als junger Student habe er zwar in Zürich gewohnt, erzählt François A. Bernath, doch im Sommer sei er so oft wie möglich nach Cully in die Nähe von Lausanne gefahren, ins mütterliche Anwesen hoch über dem Genfersee. Zusammen mit seinem Bruder habe er unter dem Dach ein Zimmer eingerichtet, denn nicht zuletzt wegen des Swimmingpools im Garten sei es dort viel lustiger gewesen als in Zürich.
Heimlich mitgehört
So lag er auf dem Liegestuhl, zufällig leicht versteckt hinter einer Mauer, als an einem Sommertag im Jahr 1970 prominenter Besuch auftauchte: Pierre Graber, seit wenigen Monaten Bundesrat, der Familie als Jugendfreund des Vaters aber schon lange bekannt. Als die beiden auf den Terroranschlag von Würenlingen zu sprechen kamen, spitzte Bernath die Ohren – und gab sich schlafend. Das Thema interessierte ihn ausserordentlich, die abgestürzte Swissair-Coronado beschäftigte ihn seit langem.
So kam es, dass sich Bernath im Sommer 1970 bei zwei weiteren Gelegenheiten auf den Liegestuhl hinter der Mauer legte, als der Besuch Grabers kurzfristig angekündigt wurde. Er wollte lauschen, was die zwei Erwachsenen zu besprechen hatten. Die drei vertraulichen Treffen datiert er zwischen Juni und September 1970, das letzte ein oder zwei Wochen nach der Entführung einer Swissair-Maschine nach Zerqa.
Fast 46 Jahre später, Anfang Februar dieses Jahres, wurde Bernath plötzlich wieder mit jenen Ereignissen konfrontiert, die er bis dahin niemandem anvertraut hatte. Weil er ein schlechtes Gewissens gehabt habe, habe er nicht einmal mit seinem Vater darüber gesprochen, sagt er beim persönlichen Treffen, das am späten Donnerstagabend im Hotel Hilton Airport in Opfikon stattfindet.
Die Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA) war von den beiden Geschäftsprüfungskommissionen damit beauftragt worden, die Umstände des Strafverfahrens zum Flugzeugabsturz in Würenlingen zu untersuchen. Er habe sich entschieden, als Mitglied der AB-BA in den Ausstand zu treten und der interdepartementalen Arbeitsgruppe 1970 (IDA 1970) zur Verfügung zu stehen. Jetzt kommt ein weiterer Zufall hinzu: Während seiner Studienzeit beschäftigte sich Bernath intensiv mit Gedächtnistraining. 1979 verfasste er sogar ein Buch zum Thema, «Gedächtnis- und Lesetraining». Dieses Wissen wandte er nun an, um die heimlich abgehörten Gespräche zwischen seinem Vater und Bundesrat Graber zu rekonstruieren. Dafür habe er rund drei Wochen gebraucht, sagt Bernath. Voraussetzung sei natürlich, dass ihn das Thema damals brennend interessiert und er die Konversation deshalb besonders gut abgespeichert habe.
Das Resultat lieferte er der IDA 1970 in einer schriftlichen Stellungnahme ab [PDF des Berichts S. 139-146]. Um möglichst unbeeinflusst zu bleiben, habe er das Buch «Schweizer Terrorjahre» nicht gelesen, hält Bernath in seiner Stellungnahme fest. Im Gespräch ergänzt er, auch keine Zeitungsartikel studiert zu haben. Diese habe er fein säuberlich aufbewahrt und wolle sie nun nachträglich lesen.
Bernaths schriftlich festgehaltene Schilderungen bergen reichlich Zündstoff. So ging aus dem ersten Gespräch offenbar hervor, dass Graber angesichts des Terrors mit palästinensischen Führern das Gespräch suchte. «Weiter wurde klar, dass Pierre den Bundesrat über seine Pläne (noch) nicht informiert hatte», steht im Bericht. Sein Vater gab zu bedenken, dass es sehr risikobehaftet sei, wenn der Bundesrat nichts von dieser Aktion wisse und sie nicht gutheisse.
«Arrangement discret»
Darauf meinte Graber, «dass ihm der Bundesrat niemals ‹grünes Licht› für Verhandlungen mit Terroristen geben würde». Es gehe um «inoffizielle» Sondierungen, um ein «arrangement discret», das die Schweiz vor dem palästinensischen Terror schützen sollte. Diese Passage widerspricht dezidiert den bisherigen Schilderungen aus der Entourage Pierre Grabers, die ihrem Vorgesetzten keinen Alleingang zutraut.
Für François Bernath hingegen besteht kein Zweifel: Bundesrat Graber habe auf eigene Faust heimliche Gespräche mit den Palästinensern aufgleisen wollen. Für ihn könne der Ausdruck «arrangement discret» einzig als Geheimabkommen interpretiert werden. Wobei «discret» nicht nur geheim bedeute, sondern auch ohne Schriftlichkeit, um keine Spuren zu hinterlassen.
Zum Schluss des ersten Gesprächs brachte Bernaths Vater Jean Ziegler ins Spiel, worauf Graber aber zunächst abwinkte. Beim zweiten Treffen stellte sich dann aber heraus, dass Graber offenbar doch mit Ziegler Kontakt aufgenommen hatte. Dieser habe sich bereit erklärt, mit den Palästinensern zu vermitteln. Dabei sei auch der Name Farouk Kaddoumi gefallen, schreibt Bernath in seinem Erinnerungsprotokoll.
An diesen Namen könne er sich deshalb sehr gut erinnern, weil der ägyptische König Farouk damals in Cully eine Liegenschaft besessen habe. Dort habe er ab und zu verkehrt und habe dabei die arabische Kultur kennengelernt – etwa wie hoch ein Handschlag im Gegensatz zur Schriftlichkeit gehalten werde, erzählt Bernath im Gespräch. Neben Kaddoumi ist bei Bernath ein weiterer Name hängengeblieben, Khaled.
Beim zweiten Gespräch habe Bundesrat Graber ein «diskretes Abkommen» als realistisch eingeschätzt. Beim dritten Treffen schliesslich, mitten in der Zerqa-Krise, sei Pierre «ausser sich» gewesen und habe mit dem Vater erörtert, wie man sich mit den Palästinensern arrangieren könne. Ob ein «arrangement discret» zustande gekommen sei, habe er nicht mitbekommen, schliesst Bernath seine schriftliche Stellungnahme. Er könne aber sagen, dass es zumindest um die Anbahnung eines solchen Abkommens gegangen sei.
Ein wenig überrascht sei er schon, hält Bernath nach der Publikationdes Schlussberichts der IDA 1970 fest, dass die Arbeitsgruppe zum Schluss komme, ein geheimes Abkommen mit der PLO könne ausgeschlossen werden.
Grabers vorausschauendes Handeln
Auf die Frage, wieso die schriftlich festgehaltenen Erinnerungen von François Bernath im Schlussbericht der bundesrätlichen Arbeitsgruppe nicht stärker gewichtet worden sind, schreibt die Medienstelle des federführenden EDA: «Der erwähnte Hinweis bezieht sich auf den Sommer 1970, also die Zeit vor Zerqa (September 1970). Dieser Hinweis wurde von der IDA berücksichtigt.» Zum zeitlichen Ablauf hat Jean Ziegler am Freitag auf Anfrage erklärt, Bundesrat Pierre Graber habe deutlich vor Zerqa mit ihm Kontakt aufgenommen. Aufgrund einer latenten Gefahr im Sommer 1970 habe Bundesrat Graber vorausschauend etwas unternehmen wollen. Den Kontakt mit dem PLO-Aussenbeauftragten Farouk Kaddoumi herzustellen, habe mehrere Wochen beansprucht. Während Zerqa habe man darauf zurückgreifen können.
Der auf Wirtschaftsstrafrecht und Cyber-Kriminalität spezialisierte François A. Bernath gilt in der Zürcher Anwaltsszene als schillernde Figur mit zuweilen unkonventionellem Auftritt. Im September 2014 wurde er von National- und Ständerat, auf Vorschlag der Gerichtskommission, als Parteiloser in die Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft gewählt.
http://www.nzz.ch/schweiz/schweizer-terrorjahre-brisante-gespraechsfetzen-vom-lac-leman-ld.82568