Russlands EU-Botschafter Tschischow fordert, türkische Pläne für eine Sicherheitszone in Syrien nicht zu unterstützen. Das hätte Konsequenzen für den Westen und würde das „Blutbad noch verlängern”.

Russland warnt die Europäische Union (EU) davor, Pläne der Türkei zur Einrichtung einer sogenannten Sicherheitszone für Flüchtlinge in Syrien mitzutragen. Moskaus EU-Botschafter Wladimir Tschischow sagte der „Welt”: „Ich fordere die EU auf, die Pläne der Türkei für Sicherheitszonen nicht zu unterstützen.” Es sei äußerst zweifelhaft, dass derartige Zonen humanitären Zwecken dienten. „Es ist wahrscheinlicher, dass sie zu Rückzugsgebieten für militante Islamisten gemacht werden, wo diese wieder bewaffnet und versorgt und dann zurück in den Krieg geschickt werden. Dies würde das Blutbad in Syrien noch mehr verlängern.”

Die Intervention des Westens in Libyen im Jahr 2011 habe gezeigt, wie Flugverbotszonen für eine militärische Eskalation und einen Regimewechsel genutzt werden könnten. Die Unterstützung der Europäer für Sicherheitszonen dürfe auch kein „Tauschgeschäft werden für Ankaras Hilfe beim Stopp der Migrationsströme in die EU”. Hintergrund der Äußerungen sind Forderungen Ankaras an die Europäer, der Türkei bei der Errichtung von Sicherheitszonen inSyrien zu helfen.

In diesen Gebieten, die etwa 80 Kilometer entlang der türkisch-syrischen Grenze verlaufen sollen, plant Ankara den Bau von Flüchtlingslagern. Dort sollen sowohl syrische Flüchtlinge aus der Türkei als auch syrische Binnenflüchtlinge leben. Bundeskanzlerin Angela Merkel ist im Prinzip für die Einrichtung von sicheren Zonen in Syrien. Die Vereinten Nationen, Washington und Hilfsorganisationen sind jedoch skeptisch, da man die Sicherheit der Flüchtlinge nicht garantieren könne.

Die Türkei ist jedoch bereit, eigene Soldaten zu entsenden. Die Regierung in Ankara verfolgt dabei auch handfeste innenpolitische Interessen: Sie will verhindern, dass die syrischen Kurden der PYD, die mit der PKK verbunden ist, im Grenzgebiet Fuß fassen und damit eine Art kurdischer Korridor im syrischen Grenzgebiet entsteht.

Tschischow warnt vor den Konsequenzen von Sicherheitszonen: „Es verletzt die Souveränität und territoriale Integrität Syriens, wenn man der Türkei bei der Errichtung von sicheren Enklaven hilft. Das wird kaum dazu beitragen, den Anspruch der EU, im Mittleren Osten als unabhängiger und verantwortlicher Akteur aufzutreten, zu festigen.” Ein solches Vorgehen widerspreche auch dem „Geist” der Genfer Friedensgespräche, deren Ziel es sei, Syrien als einen Staat wieder herzustellen. Dort könne es keine Gebiete geben, die „mehr oder weniger sicher” sind.

Kritik an der Aufklärungsmission der Nato

Skeptisch äußerte sich der russische EU-Botschafter auch zur Aufklärungsmission der Nato in der Ägäis. Die Ziele der Mission seien „vage”. Tschischow: „Die Operation will offenbar nicht Flüchtlinge stoppen oder zurückschicken, sondern die Bewegungen von Flüchtlingsbooten auf hoher See überwachen. Aber wäre es nicht effizienter, diese Boote zu zerstören, bevor die Menschen ihre fatale Reise beginnen?” Es sei doch viel besser, Schleusernetzwerke an Land zu zerschlagen, als „einige Phantom-Bedrohungen, Dämonen und bösartige Eindringlinge zu suchen, nur um seine eigene Existenz und Expansion zu rechtfertigen”, kritisierte Tschischow in ungewöhnlich harscher Weise.

Unterdessen droht der Streit über den visumfreien Reiseverkehr für 80 Millionen Türken zu eskalieren. Eigentlich wollte die EU der Türkei eine Aufhebung der Visumpflicht bis Ende Juni gewähren – im Gegenzug für die Bereitschaft der Türkei, Flüchtlinge aus Europa zurückzunehmen. Allerdings hat die Türkei nach Ansicht der EU bisher nur 67 statt der erforderlichen 72 Bedingungen für eine Aufhebung der Visumpflicht erfüllt.

Doch die Zeit drängt. Die EU-Kommission hatte ihre Zustimmung in der vergangenen Woche nur unter Vorbehalt erteilt. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz sagte am Mittwoch, die Visumfreiheit für die Türkei sei „zumindest bis Juli nicht im Parlament verabschiedet”. Es sei „absolut außerhalb jeder Diskussion”, dass die Abgeordneten Beratungen über ein Vorhaben beginnen würden, für das die Voraussetzungen fehlten.

Vor Beginn der Beratungen müssten alle 72 Bedingungen erfüllt sein. Das sei bisher nicht der Fall. Die innenpolitische Sprecherin der konservativen EVP, Monika Hohlmeier (CSU), unterstütze den Kurs des Parlamentspräsidenten: „Wir können das Abkommen erst beraten, wenn die darin vorgesehenen Bedingungen erfüllt sind. Alles andere wäre nicht rechtmäßig und politisch nicht zu verantworten.”

Laut Schulz sind die geforderte Reform der Anti-Terror-Gesetze und Änderungen beim Datenschutz noch offen. Der türkische Europaminister Volkan Bozkir bekräftigte derweil, dass es unmöglich für seine Regierung sei, die Anti-Terror-Gesetze zu ändern. Das Regelwerk sei mit europäischem Recht vereinbar. Bozkir sagte auch, eine Änderung der Terrorgesetze, die der Regierung weitreichende Befugnisse im Kampf gegen Oppositionelle einräumen, sei nicht Teil der Vereinbarung über eine Visum-Liberalisierung. Der türkische StaatspräsidentRecep Tayyip Erdogan hatte am Dienstagabend gesagt, dass Ankara vom Zielmonat Juni für die Visumfreiheit abrücke und stattdessen bis Oktober eine Umsetzung fordere. Ob das sein letztes Wort ist, bleibt unklar.

http://www.welt.de/politik/ausland/article155271576/Moskau-warnt-EU-vor-Hilfe-fuer-Erdogan.html