Das nun faktisch entschiedene Absetzungsverfahren gegen die brasilianische Präsidentin ist letztlich eine Folge davon, dass sie das Vertrauen der Bevölkerung und des Parlamentes verloren hat. Ein Weiterregieren Rousseffs angesichts der gegenwärtigen schweren Krisen scheint für das Land nicht mehr opportun.
Nach einem monatelangen Impeachment-Verfahren hat sich im brasilianischen Senat schliesslich eine Mehrheit dafür ausgesprochen, Dilma Rousseff in ihrem Amt zu suspendieren und den Beginn des politischen Prozesses zur definitiven Absetzung einzuleiten. Ihre Anhänger bezeichnen dies als Staatsstreich. Sie verweisen auf das eher mindere Vergehen, das Rousseff vorgeworfen wird. Sie hat laut Anklage vor den letzten Wahlen die sich rapide verschlechternde Staatsrechnung mittels nicht korrekt ausgewiesener Kredite von Staatsbanken beschönigt.
Es trifft natürlich zu, dass solche buchhalterischen Tricks nicht nur in Brasilien, sondern auch in vielen anderen Ländern immer wieder angewendet werden und dass diese auf den ersten Blick nicht als ausreichenden Grund erscheinen mögen, um eine gewählte Präsidentin abzusetzen. Das Oberste Gericht, das nota bene mehrheitlich von Rousseff und ihrem Mentor Lula da Silva eingesetzt wurde, hat diese aber als Grund für ein Impeachment akzeptiert.
Verlust des Vertrauens
Letztlich muss das Ganze aber im weiteren gegenwärtigen Umfeld verstanden werden. Es handelt sich de facto um ein verkapptes Misstrauensvotum, das es in dieser Form im brasilianischen Präsidialsystem nicht gibt. Brasilien wird zurzeit von zwei schweren Krisen heimgesucht, von einer Rezession, wie sie seit vielen Jahrzehnten nicht mehr erlebt wurde, und einer gewaltigen Korruptionsaffäre, die in der Geschichte des Landes ihresgleichen sucht. In dieser schwierigen Situation lenkte eine Präsidentin das Staatsschiff, die nur noch von einem Zehntel der Bevölkerung und einem Viertel des Abgeordnetenhauses unterstützt wurde. In vielen anderen Demokratien hätte die Präsidentin in einer solchen Situation längst zurücktreten müssen oder sie wäre vom Parlament via Misstrauensvotum abgesetzt worden
In Brasilien war dies nicht möglich. Rousseff klammerte sich ans Amt und war sich anscheinend keiner Fehler bewusst. Es blieb deshalb nur der Weg via Impeachment übrig. Ein solches aber ist nicht undemokratisch, solange die verfassungsmässigen Regeln eingehalten werden. Selbstverständlich aber wäre es nie dazu gekommen, wenn Rousseffs Koalition nicht zuvor auseinandergefallen wäre.
Keine weisse Weste
Es trifft zu, dass Rousseff bisher keine Verwicklung in den Petrobras-Skandal nachgewiesen werden konnte. Trotzdem kann sie sich auch hier nicht einer gewissen Verantwortung entziehen. Während zweieinhalb Jahren präsidierte sie als Energieministerin den Verwaltungsrat des halbstaatlichen Konzerns, zu einer Zeit, als der Korruptionsskandal bereits in vollem Gange war. Sie segnete mit ihrer Unterschrift Grossprojekte ab, die den Staat wegen der kriminellen Machenschaften riesige zusätzliche Summen kosteten. Auch wenn sie sich dessen nicht bewusst war, hätte ihr dies in anderen Ländern oder in privaten Unternehmen wohl den Kopf gekostet. Besonders problematisch war ausserdem ihr Verhalten, nachdem die Justiz in der Korruptionsaffäre Ermittlungen gegen Lula da Silva aufnahm. Im Moment, als sie versuchte, diesen mit einer Berufung ins Kabinett dagegen zu schützen, kam das schubladisierte Impeachmentverfahren denn auch erst richtig in Gang.
Erst am Anfang des Aufräumens
Allerdings bleibt trotzdem ein schaler Nachgeschmack übrig. Es ist unübersehbar, dass Rousseff im Kongress zum Teil von korrupten Politikern abgeurteilt wird, die wesentlich mehr auf dem Kerbholz haben als sie selbst. Paradebeispiel hierfür ist der kürzlich vom Obersten Gericht abgesetzte frühere Präsident des Abgeordnetenhauses, Eduardo Cunha. Er ist laut den Ermittlungen tief in den Petrobras-Skandal verstrickt. Dies hat ihn aber nicht daran gehindert, der eigentliche Drahtzieher des Impeachment-Prozesses gegen Rousseff in der grossen Parlamentskammer zu sein. Stossend ist auch, dass in der neuen, vom bisherigen Vizepräsidenten Michel Temer gebildeten Regierung, einzelne Minister sitzen, die im Zusammenhang mit dem Petrobras-Skandal in Verdacht stehen. Im übrigen wird auch weiterhin gegen rund 50 Kongressabgeordnete im Zusammenhang mit der Petrobras-Affäre ermittelt. Die dringend notwendige Erneuerung der politischen Elite in Brasilien steht mit der Suspendierung von Präsidentin Rousseff erst am Anfang.
http://www.nzz.ch/meinung/impeachment-in-brasilien-rousseffs-letztes-gefecht-ld.82059