Die Türkei entsendet fast 1000 konservative Imame in hiesige Ditib-Moscheen. Der Protest gegen diese Praxis wächst in allen Parteien. Ankara kontrolliert rund 900 Moscheen in Deutschland.
Die neue deutsch-türkische Nähe zeigt Wirkung. Dinge kommen zur Sprache, die bisher eher ungesagt blieben. Während Angela Merkel die Türkei besucht, entbrennt in Deutschland eine Debatte um die Ditib – die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V. kontrolliert rund 900 Moscheen in Deutschland.
Ditib sagte auf Anfrage der „Welt am Sonntag”, sie habe derzeit rund 970 Imame nach Deutschland entsandt, die regulär je fünf Jahre hierblieben. Die Behörde für Religionsangelegenheiten beim türkischen Ministerpräsidenten in Ankara, die auch Ditib anleitet, verfügt in diesem Haushaltsjahr über rund 6,4 Milliarden Türkische Lira (rund 1,8 Milliarden Euro). Davon baut und unterhält sie Moscheen und hat aktuell 120.000 Mitarbeiter. 2004 waren es 72.000, 2008 schon 83.000. Seit 2008 hat sich ihr Etatposten in Euro fast verdoppelt, in Lira sogar verdreifacht.
Wie viel davon Ditib erhält, wollte die Behörde nicht mitteilen. Heute übersteigt das Budget der Religionsbehörde den Etat von zwölf türkischen Ministerien, darunter den des Innenministeriums (ohne Polizeietat) und des Außenministeriums.
„Die Türkei muss die Muslime endlich freigeben”
Die deutsche Politik sieht diese Praxis, Imame aus der Türkei nach Deutschland zu entsenden, die dort ausgebildet wurden und häufig nicht Deutsch sprechen, zunehmend kritisch. Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir sagte der „Welt am Sonntag”, es gebe in Ditib-Moscheen zwar „viele engagierte Gemeindemitglieder”, oft werde „tolle Arbeit” gemacht. Doch der Dachverband selbst „ist nichts anderes als der verlängerte Arm des türkischen Staates. Statt zu einer echten Religionsgemeinschaft zu werden, macht die türkische Regierung die Ditib immer mehr zu einer politischen Vorfeldorganisation der AKP in Deutschland”, warnt Özdemir und fordert: „Die Türkei muss die Muslime endlich freigeben.”
Die Bürgermeisterin von Berlin-Neukölln, Franziska Giffey (SPD), sagte der „Welt am Sonntag”, sie sehe es kritisch, „wenn Moscheevereine fremdgesteuert sind und dortImame predigen, die nicht nach dem deutschen Werteverständnis ausgebildet und nicht hier aufgewachsen sind”. Imame hätten „eine Vorbildfunktion” und „vor allem auf junge Leute großen Einfluss”. Ditib werde „von der Türkei gesteuert und vermittelt das türkische politische Verständnis – nicht das unseres Landes”. Das führe zwangsläufig zu Konflikten.
Auch für Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) ist die Entsendung der Imame „nicht akzeptabel”. Deren Ausbildung dürfe nicht von der Türkei ausgehen, sie müsse „in der Hand der für Bildung und Kultus zuständigen Bundesländer liegen”. Islamunterricht solle ordentliches Lehrfach an staatlichen Schulen werden. Für „kritisch” hält Herrmann die Nähe des türkischen Staates zu Ditib, etwa Auftritte von Präsident Recep Tayyip Erdogan bei deren Großkundgebungen. „Alle politisch-religiösen Missionierungsversuche aus dem Ausland in Deutschland lehne ich ab. Sie behindern letztlich eine vorurteilsfreie Integration von Zuwanderern in das Leben unserer Gesellschaft.”
Import extremer Wertvorstellungen aus dem Ausland
Auch CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer sagte der „Welt am Sonntag”: „Die Nähe von Ditib zu Erdogan ist bekannt und mehr als bedenklich, denn die Erdogan-Türkei entfernt sich immer weiter von den Grundwerten des aufgeklärten Europas.” Die Fälle „Extra3” und Böhmermann zeigten, „dass Erdogan nicht nur in der Türkei Presse- und Meinungsfreiheit mit Füßen tritt, sondern auch Europa seine Vorstellungen aufzwingen will. Dass Ditib Erdogans Sprachrohr und Plattform in Deutschland ist, ist skandalös.”
Man müsse sich stärker und kritischer mit dem politischen Islamauseinandersetzen, „denn er hintertreibt, dass sich Menschen bei uns integrieren. Die Finanzierung von Moscheen oder islamischen Kindergärten aus dem Ausland, etwa aus der Türkei oder aus Saudi-Arabien muss beendet werden. Alle Imame müssen in Deutschland ausgebildet sein und unsere Grundwerte teilen. Wir können und wollen es nicht akzeptieren, dass andere zum Teil extreme Wertvorstellungen aus dem Ausland importiert werden.”
Das Bundesinnenministerium lobt Ditib. Der Verband arbeite „kontinuierlich und konstruktiv in der Deutschen Islamkonferenz mit”, sagte ein Sprecher der „Welt am Sonntag”.
http://www.welt.de/politik/deutschland/article154680761/Kritik-an-Erdogans-tuerkischen-Predigern-in-Deutschland.html