Anschläge in Brüssel

Das Netz des Terrors

Nach den Anschlägen in Brüssel wird immer deutlicher, wie weitreichend die Wurzeln des Terrors sind. Die Spuren in Belgien und Frankreich führen zu Jihad-Veteranen aus dem Maghreb
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Die Ursprünge des Terrors in Europa sind älter als gedacht. (Bild: Reichwein / Imago)

Was haben die islamistischen Anschläge am 13. November in Paris, am 22. März in Brüssel und das am 24. März verhinderte Attentat in Frankreich gemeinsam? Die Protagonisten wurden offenbar von demselben Verführer angeworben: Khalid Zerkani. Der gebürtige Marokkaner wurde im vergangenen Sommer in Brüssel erstinstanzlich zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt, weil er Dutzende von jungen Männern für den Jihad in Syrien rekrutiert haben soll. Zerkani habe im Brüsseler Viertel Molenbeek «eine ganze Generation von Jugendlichen pervertiert», sagte der Staatsanwalt im laufenden Berufungsprozess.

Der belgische Geheimdienst habe Zerkani bereits seit 2012 beobachtet, schreibt die französische Wochenzeitschrift «L’Obs». Es wird vermutet, dass der 43-Jährige in Pakistan eine Spezialausbildung bekam. Zerkani und sein in Marokko verhafteter Gehilfe Gelel Attar sollen Jugendliche zu Diebstählen angestiftet haben, um den Jihad und die Reise dorthin zu finanzieren. Laut der belgischen Staatsanwaltschaft erklärte Zerkani gegenüber Polizisten: «Ich wurde mit einer besonderen Mission von Allah nach Belgien geschickt.»

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Gemeinsam mit Zerkani standen im vergangenen Juli 32 Personen unter Anklage. Aber viele davon waren nicht zugegen. Abwesend waren unter anderen zentrale Figuren der Anschläge in Paris und Brüssel: Abdelhamid Abaaoud, der als operativer Kopf der Pariser Anschläge gilt, wurde in Abwesenheit zu zwanzig Jahren Haft verurteilt. Lange Gefängnisstrafen sollten auch gegen Chakib Akrouh, Najim Laachraoui und Reda Kriket vollzogen werden.

Algerisches Echo

Akrouh gehörte in Paris vermutlich zum Terrorkommando, das aus einem Auto auf Restaurantgäste schoss. Wenige Tage danach sprengte er sich bei einer Razzia im Pariser Vorort Saint-Denis in die Luft. Bei dem Einsatz tötete die Polizei Abaaoud und seine Cousine Hasna Aitboulahcen. Laachraoui ist der mutmassliche Bombenbauer der Terrorzelle. Seine DNA wurde unter anderem auf Sprengstoffgürteln gefunden, die in Paris eingesetzt worden waren. Der 24-Jährige sprengte sich am Brüsseler Flughafen in die Luft.

Auch Reda Kriket gehörte zum Zerkani-Netzwerk. Der 34-Jährige wurde vergangenen Juli zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Der gebürtige Franzose und sein mutmasslicher Komplize Anis Bahri wurden seit ihrer Rückkehr aus Syrien vom französischen Geheimdienst überwacht. Weil die Behörden ein unmittelbar bevorstehendes Attentat befürchten, verhaftet die französische Polizei Kriket am 24. März, Bahri wird in Rotterdam festgenommen.

Kriket hatte unter falschem Namen eine Wohnung im Pariser Vorort Argenteuil gemietet. Dort fanden die Ermittler alles, was es für einen Terroranschlag braucht: Sprengstoff, Zünder, Kalaschnikows und zudem fünf gestohlene französische Pässe. Derweil verhaftete die belgische Polizei zwei weitere Verdächtige, die zur Kriket-Zelle gehören könnten: Abderahmane A. und Rabah N. Belgische und französische Medien vermuten, dass es sich bei Ersterem um den Algerier Abderrahmane Ameuroud handeln könnte, einen bekannten «Veteranen» des frankofonen Jihad. Er soll seine Ausbildung in Afghanistan erhalten haben. Ein französisches Gericht verurteilte Ameuroud 2005 zu sieben Jahren Gefängnis, weil er den zwei Tunesiern behilflich war, die 2001 Ahmad Shah Massoud, den Anführer des afghanischen Widerstands gegen die Taliban, töteten.

Ameuroud ist nicht der einzige Jihad-Veteran, der in den Fokus gerät. Khalid Zerkani, der Mentor der Brüsseler Zelle, soll enge Beziehungen zu Farid Melouk gepflegt haben. «Melouk ist der Mann mit dem ältesten und umfassendsten Adressbuch des jihadistischen Planeten», schreibt die französische Zeitung «Le Figaro». Der algerischstämmige Franzose gehörte in den neunziger Jahren zum Groupe Islamique Algérien (GIA) und war 1995 mitverantwortlich für den Anschlag auf eine Pariser S-Bahn. Melouk flüchtete nach Afghanistan, kehrte aber zurück, um 1998 einen Anschlag bei der Fussball-Weltmeisterschaft durchzuführen. Der Plan scheiterte: Melouk wurde verhaftet und zu neun Jahren Gefängnis verurteilt.

Bezug zu «Charlie Hebdo»?

Nachdem der heute 50-jährige Terrorist 2009 freigekommen war, freundete er sich mit Djamel Beghal an. Auch dieser wurde in den Reihen des GIA radikalisiert, war in Afghanistan und wurde wegen Attentatsplänen in Frankreich verurteilt. Vor zehn Jahren lernte Beghal im Gefängnis Chérif Kouachi und Amedy Coulibaly kennen. Ihre Freundschaft pflegten sie auch nach der Entlassung. Chérif und sein Bruder Saïd stürmten am 7. Januar 2015 in Paris die Redaktion der Satirezeitschrift «Charlie Hebdo», Coulibaly überfiel einen jüdischen Supermarkt. Sie töteten dabei 17 Personen.

Offenbar gibt es also Berührungspunkte zwischen den Zellen, die in Frankreich und Belgien eine Reihe von Attentaten planten und ausführten. Die Frage ist nur, wie eng und direkt diese Beziehungen waren. Französische Medien berichten nun von Fotos des Geheimdienstes, die Beghal, Melouk und Chérif Kouachi vor ein paar Jahren beim Fussballspielen zeigen sollen. Während Beghal momentan wieder im Gefängnis sitzt, soll Melouk in Syrien sein. Gut möglich, dass er dort auch Kontakt zu Abaaoud hatte, dem Kopf der Paris-Anschläge vom November.

Möglicherweise werden die französisch-belgischen Ermittlungen in den kommenden Wochen mehr Licht in diese Verbindungen bringen. Eine Handvoll Verdächtiger wurde bereits festgenommen, die Behörden sollen zudem nach acht weiteren Personen der Abaaoud-Zelle suchen. Gefahndet wird offenbar auch nach dem Syrer Naim al-Hamed. Er könnte der dritte Attentäter am Brüsseler Flughafen gewesen sein, der mysteriöse «Mann mit dem Hut». Hamed soll im vergangenen September gemeinsam mit dem mittlerweile verhafteten Amine Choukri über die griechische Insel Leros nach Europa gereist und dann von Salah Abdeslam in Ulm abgeholt worden sein. Inwiefern die Brüsseler Zelle auch Verbindungen nach Deutschland hat, ist eine offene Frage. Erwiesen scheint, dass Mitglieder der sogenannten«Lohberger Brigade» in Syrien enge Kontakte zu Abaaoud hatten. Dieser lenkte aus Syrien auch frühere Attentate. Nach Recherchen der «New York Times» stand Abaaoud auch in Verbindung mit Mehdi Nemmouche, der das Attentat auf das jüdische Museum in Brüssel vom Mai 2014 verübte.

Die Ermittlungen laufen noch, aber schon jetzt wird deutlich, dass die Terrornetzwerke in Europa grösser und ihre Wurzeln älter sind als angenommen.

Forrás: http://www.nzz.ch