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Türkischer Parlamentspräsident will religiöse Verfassung

Allah komme in der aktuellen Verfassung nicht vor, kritisiert Ismail Kahraman. Der Parlamentspräsident will das Gebot des Laizismus streichen – und erntet einen Aufschrei in den sozialen Medien.

Türkischer Parlamentspräsident will religiöse Verfassung
Foto: AFP
Ismail Kahraman hier bei einem Besuch im Atatürk-Mausoleum anlässlich des Feiertags der Nationalen Souveränität. Politisch ist der Parlamentspräsident sehr weit entfernt vom Staatsgründer Atatürk

 

Der türkische Parlamentspräsident Ismail Kahraman (AKP) fordert die Streichung des Laizismus-Gebots aus der Verfassung. „In der neuen Verfassung darf es keinen Laizismus geben”, sagte er auf einer Konferenz der „Union von Akademikern und Autoren aus islamischen Ländern” in Istanbul. „Wir müssen eine religiöse Verfassung schaffen.”

Den Begriff Laizismus gebe es außer in der türkischen Verfassung nur in der französischen und der irischen. Aber jeder würde diesen Begriff so interpretieren, wie es ihm gefalle. „Unsere Verfassung darf sich nicht vor der Religion flüchten”, fuhr Kahraman fort. „Warum sollten wir als muslimisches Land versuchen, die Religion abzustreifen?”

Laizismus gibt es, damit jeder seine Religion frei leben kann, Ismail Kahraman!

Kemal Kilcdaroglu
Oppositionsführer und Vorsitzender von Atatürks Partei CHP

Der Parlamentspräsident bemängelte, dass in der gegenwärtigen Verfassung das Wort Allah kein einziges Mal auftauche, wo doch die Verfassung eines muslimischen Landes mit dem Namen Gottes beginnen müsse. Zugleich betonte er, dass auch die jetzige Verfassung nicht säkular sei, und verwies auf die religiösen Feiertage, das in der Verfassung verankertePräsidium für Religionsangelegenheiten und den Religionsunterricht, den die Verfassung als Pflichtfach für alle Schüler bis einschließlich der achten Klasse vorschreibt.

Aktuelle Verfassung ist eine Putschistenverfassung

Die gegenwärtige Verfassung ist ein Erbe des Militärputsches vom September 1980. Zwei Jahre nach ihrer Machtergreifung ließen die Generäle in einer Atmosphäre der Diktatur diese Verfassung durch eine Volksabstimmung annehmen. Der verpflichtende Religionsunterricht, den es zuvor in keiner Verfassung der Republik gegeben hatte, war Teil der Strategie der Militärs, die„Türkisch-Islamische Synthese” zur Staatsideologie zu erklären. Zugleich ließen sie, wenigstens auf dem Papier, das Gebot des Laizismus unangetastet – einen der Grundpfeiler der Republik von Staatsgründer Kemal Atatürk, auf den sie sich ebenfalls beriefen.

Trotz zahlreicher Änderungen ist die Putschistenverfassung bis heute in Kraft. Und eigentlich sind sich fast alle politischen Kräfte einig, dass die Türkei eine neue Verfassung braucht. Nur gehen die Meinungen darüber, wie diese aussehen soll, weit auseinander. Die Kurden fordern Dezentralisierung und lokale Autonomie, Liberale und Sozialdemokraten eine bessere Verankerung der Menschenrechte, während Recep Tayyip Erdogan und die AKP vor allem eins wollen: ein Präsidialsystem, das dem Staatspräsidenten jene weitreichenden Kompetenzen einräumt, die Erdogan ohne Rechtsgrundlage heute schon für sich in Anspruch nimmt.

Natürlich sprach sich auch Kahraman für ein Präsidialsystem aus. Nur die „äußere Welt”, die den Fortschritt der Türkei verhindern wolle, verunglimpfe das Präsidialsystem als Diktatur. Und offenbar wollen zumindest einige AKP-Politiker bei dieser Gelegenheit den Laizismus kippen.

Die dunkle Vergangenheit des Parlamentspräsidenten

Kaum dass sich diese Forderung verbreitet hatte, ging ein Aufschrei durch die sozialen Medien. Kemal Kilcdaroglu, der Vorsitzende von Atatürks Partei CHP, antwortete noch am Abend. „Dass der Nahe Osten ein Sumpf ist, ist ein Werk von Leuten wie Ihnen, die die Religion instrumentalisieren”, twitterte der Oppositionsführer. „Laizismus gibt es, damit jeder seine Religion frei leben kann, Ismail Kahraman!”

Der 75-jährige Kahraman ist ein alter Kämpe der islamistischen Bewegung. Im Februar 1969 führte er mit dem Ruf „Wir haben gegen die Kommunisten den Dschihad eröffnet” einen islamistisch-nationalistischen Mob an, der mit Messern und Knüppeln und unbehelligt von den Sicherheitskräften eine Demonstration linker Studenten auf dem Taksim-Platz in Istanbul angriff und dabei zwei Menschen tötete. Später machte er Karriere als Jurist, ehe er 1996 in den Reihen der islamistischen Tugendpartei erstmals ins Parlament gewählt wurde. Im August 2001, bei der Gründung der AKP, die aus dem modernisierungsfreudigen Teil der Tugendpartei hervorging, war er der Namensgeber. „Partei für Fortschritt und Entwicklung” war Kahramans Idee.

Und wer ist diese Organisation, auf deren Konferenz er zum Angriff auf den Laizismus blies? Auf ihrer Internetseite stellt sie sich wie folgt vor: „Die Union von Akademikern und Autoren aus islamischen Ländern ist eine Nichtregierungsorganisation, die 2011 gemäß Beschluss des Regierungskabinetts gegründet wurde.”

http://www.welt.de/politik/ausland/article154744440/Tuerkischer-Parlamentspraesident-will-religioese-Verfassung.html

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